Hans Falladas Roman “Jeder stirbt für sich allein“ von 1947 feiert derzeit weltweit ein erstaunliches Revival. Was sagt sein Sohn dazu?

Berlin. Vielleicht beginnt die Geschichte am Uhufelsen im thüringischen Rudolstadt, aber was heißt vielleicht. So wie dieser alte Mann hier vor einem sitzt, etwas trotzig und wortkarg, will man fast sagen: Sie beginnt auf jeden Fall da. Und sie endet hier, in dieser Wohnung am Berliner Kurfürstendamm, in der in einer Bücher-Kammer alle Romane Hans Falladas stehen. Sehr alt sind manche dieser Ausgaben. "Der eiserne Gustav", steht in Fraktur auf dem Buchsteg. Nächste Woche wird Uli Ditzen einen weiteren Fallada-Band hier einsortieren, den großen Roman über die NS-Zeit, "Jeder stirbt für sich allein". Er erscheint erstmals in seiner Ursprungsversion, so wie ihn Fallada 1946 in nur sechs Wochen zu Papier brachte. Im Ausland hat sich dieses Buch in den vergangenen zwei Jahren mehr als eine halbe Million Mal verkauft. Fallada ist über 60 Jahre nach seinem Tod wieder ein Bestsellerautor.

"Das ist doch grotesk", sagt der 80 Jahre alte Uli Ditzen, er hat ein paar Zeitungen auf seinem Sofa liegen und die Bibel auf dem Tisch. 90 Quadratmeter ist seine Wohnung groß, sie kommt einem kleiner vor. Auch Ditzen wirkt kleiner, als er eigentlich ist. Er sitzt etwas eingesunken da, wie es öfter vorkommt bei alten Menschen. Eigentlich müsste er zurzeit aber, denkt man, vor Stolz die Brust rausdrücken: vor Vaterstolz oder Sohnesstolz, wie immer man das ausdrücken möchte. Ditzen ist Falladas Sohn und also der Spross desjenigen Romanciers, der gerade das unwahrscheinlichste aller literarischen Comebacks feiert, es ist ein posthumes. Auf dem englischsprachigen Markt dazu noch, auf dem sich die Deutschen doch sonst so schwertun. Aber Ditzen, der nicht unsympathische Herr, der einen Stock braucht zum Gehen, ist nicht so richtig stolz. Er sagt zwar, dass er sich freut. Er sagt aber auch: "Das Duell am Uhufelsen ist der Punkt im Leben meines Vaters, auf den sich alles bezieht."

Und das, worauf sich sein eigenes schwieriges Verhältnis zum Vater gründet. Am Uhufelsen wollten Fallada, der damals noch Rudolf Ditzen hieß, und ein Freund am 17. Oktober 1911 Selbstmord begehen. Getarnt wurde der geplante Freitod als Duell. Nur der Freund starb, und für Falladas späteren problematischen Lebensweg, der in die Alkohol- und Morphiumsucht führte, ins Gefängnis und die Entzugsanstalt, ist dieses Ereignis eine Urszene. "Mein Vater starb einen armseligen Tod", sagt Ditzen, und weiter will er eigentlich gar nichts über seine Beziehung zu "Fallada" sagen, wie er ihn nennt. Und man will auch nicht wirklich daran rühren:

Ein Vater und sein Sohn, das ist eine Beziehung, aus der zu allen Zeiten viel Leid gewachsen ist, man weiß es auch ohne Freud. Ditzen war keine 17 Jahre alt, als Hans Fallada 1947 starb, "da kann man nicht von einem richtigen Verhältnis sprechen", findet er. Es muss ein alter Schmerz sein, der ihn das sagen lässt, aber man will nicht urteilen. Vor einigen Jahren gab Ditzen im Aufbau-Verlag seinen Briefwechsel mit dem Vater heraus: berührende Briefe, von beiden Seiten. Sie zeigen Fallada als liebevollen Vater, der Anteil nehmen will am Internatsleben des Sohnes. Ditzen greift sich die Verlagswerbung von "Jeder stirbt für sich allein", beinah lächelt er. Und dann fragt er: Haben Sie's gelesen, wie finden Sie es denn so?"

Manchmal ist etwas schon vergessen, eine alte Empfindung oder auch ein Buch, und dann taucht es aus den Tiefen der Erinnerung wieder auf. An Falladas letzten Roman, der kurz nach seinem Tod erschien, hat sich der französische Verlag Denoël wieder erinnert. Dann fand der Roman schnell seinen Weg nach New York, wo der Verleger Dennis Johnson seinen kleinen Melville-House-Verlag betreibt. Auch Johnson war fasziniert von der Geschichte des realen Berliner Ehepaars Hampel, das nach dem Tod des einzigen Sohnes an der Westfront Widerstand gegen Hitler übt.

Johnson rief damals an in Berlin bei Ditzen, um die frohe Kunde zu überbringen: Wir bringen "Every Man Dies Alone" wieder heraus. "Das war schön zu hören", sagt Ditzen. Was danach geschah, ist fast märchenhaft: "Alone in Berlin", wie das Buch in der ebenfalls sehr erfolgreichen britischen Fassung heißt, wurde zum Bestseller.

Das Schicksal der im Wedding lebenden Hampels (im Buch verlegt Fallada die Handlung nach Prenzlauer Berg), die Postkarten mit Antikriegsbotschaften in Berlin auslegten, fesselte die Leser weltweit. Ab nächster Woche soll das auch in Deutschland wieder so sein, wenn Falladas Werk bei Aufbau neu aufgelegt wird. Dann wird "Jeder stirbt für sich allein" erstmals in seiner Originalversion erscheinen. In Nazi-Deutschland hatte Fallada, der noch 1932 mit "Kleiner Mann, was nun" großen Erfolg hatte, als unerwünschter Autor gegolten. Gleich nach Kriegsende setzte ihn der spätere DDR-Kulturminister Johannes R. Becher (auch er eine tragische Gestalt: in seiner Jugend morphiumsüchtig - und ebenfalls Überlebender eines Doppelsuizidversuchs) auf das Schicksal der Hampels an.

Deren Prozessakten befanden sich im Besitz des Kulturbunds. Das Thema verfing bei Fallada: Er wollte die Geschichte der 1943 vom Volksgerichtshof verurteilten und hingerichteten Otto und Elise Hampel erzählen, in den ihm eigenen Sound des Dringlichen, Lebensnahen und Einfachen. Im Nachwort zur Neuausgabe zitiert Almut Giesecke aus einem Fallada-Brief: "Das Wesentliche beim Falle Hampel ist ja gerade dieser Alleinkampf der beiden älteren Leute, ihre völlige Beziehungslosigkeit zu der immer wilderen Nazi-Umwelt." Das alles beschreibt Fallada: den Widerstand der kleinen Leute abseits der Masse, auch abseits der legendenumwobenen adeligen Verschwörer, ob sie nun Graf von Moltke hießen oder Graf von Stauffenberg.

"Mein Vater war kein Nazi, aber das war keine Leistung, das musste einfach so sein", sagt Ditzen. Er hat die Bücher Falladas als Jugendlicher verschlungen, er kennt sich aus im Werk des Autors. Erst im vergangenen Jahr hat Ditzen die Rechte an Fallada an den Aufbau-Verlag abgetreten, über Geld möchte er nicht sprechen. "Mein Bruder und ich sind zu alt, um bei den Abrechnungen noch durchzublicken". Denn verkauft hat Fallada sich über all die Jahre, in vielen Ländern. Nur eben nicht so häufig wie jetzt, wo viele die heimliche Heldengeschichte aus zum Glück längst vergangenen Zeiten lesen wollen.

Anders waren diese Zeiten, auch direkt aus dem Krieg. Denn so wie Fallada seinen Roman hinterließ, sollte er nicht erscheinen: Ein Kapitel wurde vom zuständigen Lektor ganz gestrichen, neben etlichen anderen Stellen, die politisch anrüchig erschienen. Was nach 1945 benötigt wurde, waren Vorbilder, Unbelastete - weshalb die frühere Hitlerverehrung der Hauptfiguren entgegen den Absichten Falladas als fehl am Platze betrachtet und weggelassen wurde. Die auch im Hinblick auf manche Geschmacksfragen geglättete Version erschien einige Monate nach Falladas Tod durch Herzversagen. Die letzten Briefe seines Lektors erreichten den an seinem Lebensende schwer drogensüchtigen Autor nicht mehr.

In Ditzens Wohnung hängt das Bild eines unbekannten Künstlers. Es zeigt einen trübsinnig dreinblickenden jüngeren Mann, der an einem Fenster sitzt. "Im Hinterhaus, wie unschwer zu erkennen ist", sagt Ditzen, "ich wollte da immer raus." Aus dem Hinterhaus des Lebens, in dem fragwürdige Existenzen ihr Dasein fristen. Uli Ditzen wurde nach dem Tod des Vaters zunächst Journalist, dann ein erfolgreicher Anwalt. Er wollte nie vergessen, aus welchen Verhältnissen er kam. Und so ist Ditzen auch ein Anti-Fallada, er sagt aber: "Vor dem Hintergrund seiner Jugend, die schwierig war, ist die Leistung meines Vaters beachtlich."

Die meisten Bücher seiner Bibliothek hat Ditzen längst verschenkt, kein einziges aber von Hans Fallada.