Hamburg. Ein Buch von Hans Fallada im Ausland zu kaufen – bis vor Kurzem war das ein Ding der Unmöglichkeit. Doch dann entdeckte der Verleger Dennis Johnson aus New York ein Buch, das ihn zu Tränen rührte.

Hamburger Abendblatt: Herr Johnson, wie sind Sie auf Hans Falladas Roman “Jeder stirbt für sich” aufmerksam geworden?

Dennis Johnson: Durch eine Freundin, die belgische Modeschöpferin Diane von Fürstenberg. Ich fragte sie, was sie derzeit lese, das interessiert mich eigentlich immer: Was Menschen in Europa gerade lesen. Es ist ein Teil der Welt, in dem so viel Literatur verloren ging, durch Kriege und Diktaturen.

Und die erzählte Ihnen von Hans Fallada?

Ja. Und sagte gleich: Es ist verrückt, dass es den nicht auf Englisch zu lesen gibt. Für mich der Startschuss für eine Suche nach alten, übersetzten Ausgaben seiner Bücher. Wochenlang bin ich durch die Antiquariate in New York City gestreift, dann fand ich eines: den „Trinker“. Ich las es – und war hingerissen. In den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts war Fallada in den USA ein Bestseller, er verkaufte mehr Bücher als Thomas Mann. Doch dann kam der Krieg, Fallada starb. Und man vergaß ihn.

Aber wo und wann sind Sie dann auf „Jeder stirbt für sich“ gestoßen – das Buch, das durch Sie zum neuen Bestseller in den USA wurde?

Na ja – gar nicht. Es wurde ja nie ins Englische übersetzt. Als ich das feststellte, wusste ich: Ich muss dieses Buch bekommen, irgendwie. Ich bekam heraus, wer die Rechte hat und flog nach Berlin. Die Rechte-Inhaber waren ziemlich überrascht. Es war lange her, dass sich irgendjemand aus dem Ausland für Hans Fallada interessiert hatte.

Wieviel haben Sie für die Rechte bezahlt?

Über die genaue Summe möchte ich nicht sprechen. Ich kann nur so viel verraten: Es war nicht wirklich viel. Im Grunde war es ein unfassbarer Deal. Ich beauftragte Michael Hofmann mit der Übersetzung, und als ich den Roman dann tatsächlich zum ersten Mal las, verstand ich die Welt nicht mehr. Es ist mir noch immer ein Rätsel: Wie 60 Jahre lang niemand in den USA oder Großbritannien auf die Idee gekommen ist, dieses unsagbar schöne Buch zu verlegen. Die müssen alle blind gewesen sein.

Was macht es denn so unsagbar toll?

Lesen Sie es. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Mir fehlen auch nach wie vor die Worte, um es zu beschreiben. Es ist halt dieses eine Buch, das herausragt. Dass man zur Seite legt und nicht vergisst. Ich wusste sofort: Das ist große Literatur. Es ist packend schnell geschrieben, ein Thriller mit einer faszinierenden Story – die in der furchtbarsten Zeit spielt, die Deutschland je erlebt hat. Und am Ende, nach diesen ganzen schlimmen Gefühlen, die seine Schilderungen wecken, legt man das Buch zur Seite und glaubt trotzdem an das Gute im Menschen. Es gibt nicht viele Romane, die das schaffen.

Amerikaner und Briten reagieren ja nach wie vor elektrisiert auf alles, was mit Hitler und dem Dritten Reich zu tun hat...

... ja, aber das ist es nicht. Nicht nur. Ich verfolge seit Monaten die Diskussionen über das Buch im Internet. Übrigens ist es gerade eine sehr spannende Zeit für Verleger. Bücher verkaufen sich ja vor allem deshalb, weil Menschen ihren Mitmenschen erzählen, dass sie es unbedingt lesen müssen. Das hatte immer etwas Mysteriöses. In Zeiten des World Wide Web kann man es aber nachvollziehen. Und bei den Online-Diskussionen um „Jeder stirbt für sich allein“ spielen vor allem Gefühle eine Rolle. Menschen erzählen davon, wie sie bei der Lektüre geweint haben und dass sie möchten, dass ihre Freunde das verstehen. Sie verschenken den Roman. Und hören nicht auf, drüber zu reden.

Für einen Verleger ein großer Glücksfall, oder?

Natürlich. Wir sind ein kleiner Verlag, wir haben oft zu kämpfen, aber dieses Buch verleiht im Rückblick allem einen Sinn. Ich glaube, Hans Fallada ist zurück. Und er wird den Platz in der amerikanischen Rezeptionsgeschichte bekommen, den er verdient.

Hört die Nachfrage denn nicht auf?

Nein, sie explodiert förmlich. Gestern haben wir wieder 5.000 Exemplare nach Israel verschifft. Wir kommen mit dem Drucken nicht hinterher. Es wird jetzt in alle möglichen Sprachen übersetzt, Französisch, Italienisch, Spanisch. In Lateinamerika gibt es zum Beispiel eine große Nachfrage derzeit.

Was freut sie daran am meisten?

Seitdem ich mich mit Hans Fallada beschäftigt habe, ist ein Gedanke geblieben: Es ist nicht fair, was mit ihm passiert ist. In den USA hat man ihm wohl übel genommen, dass er Deutschland nicht verlassen hat. Er blieb, also dachten viele, er sei ein Nazi. Dann hörten sie, dass er im Osten lebt – also wurde er zum Kommunisten. Natürlich war er nichts von alledem. Er war ein Mann, der seine Heimat liebte und dort nicht weg wollte. Obwohl er ein schwacher Mensch war, das wusste er selbst. Es ging ihm nie wirklich gut. Er trank viel, nahm Drogen, verließ seine Frau – das ist das Bild, was man nach dem Krieg von ihm hatte. Nun ist es hoffentlich so, dass er für das erinnert wird, was er wirklich war: ein großer Schreiber, der dem Druck der Diktatur nicht gewachsen war.

Wie geht es nun weiter für Sie? Verlegen Sie weitere Bücher von Fallada?

Nein, ich bin raus aus dem Spiel. Die Rechte kann ich jetzt nicht mehr bezahlen. Ich bin aber stolz, dass ich Fallada für die Gegenwart entdeckt habe. Und dass ich seine schönsten vier Bücher verlege: „Kleiner Mann – was nun?“, „Wolf unter Wölfen“, „Der Trinker“ – und „Jeder stirbt für sich allein“. Das britische Verlagshaus Penguin Books sichert sich gerade die Rechte aller möglichen Bücher von ihm. „Every Man Dies Alone“ haben sie damals noch als Lizenz von mir gekauft. Nur schade, dass sie den Titel geändert haben: „Alone in Berlin“. Ich finde, das trifft das Wesen dieses großen Romans nicht wirklich.