Da steckt Musik drin: Michael Petermanns Blödes Orchester aus Haushaltsgeräten spielt täglich im Museum für Kunst und Gewerbe.

Hamburg. Die Vorstellung muss jeden sparwütigen Kulturpolitiker entzücken: ein Orchester, das sich vollständig selbst spielt. Ausübende Musiker? Komplett überflüssig. Keine nervigen Verhandlungen mehr über Tariferhöhungen, kein Gemaule über zu viele Dienste. In dieser vom menschlichen Faktor befreiten Kultureinrichtung braucht man höchstens noch eine Planstelle - für den Orchesterwart, der hier mal eine Schraube nachzieht und dort mal das Staubtuch schwingt. Hamburg verfügt jetzt endlich über ein solches Orchester. Es sieht fabelhaft aus, hat einen unverwechselbaren Sound und nur einen winzigen Nachteil: Es ist blöd.

Denn: "Die Instrumente sind ein bisschen untalentiert", wie ihr spiritus rector Michael Petermann, 50, maliziös erläutert. Ihre eingeschränkte Musikalität kann ihnen keiner zum Vorwurf machen, schließlich wurden sie alle mal für einen anderen Zweck gebaut. Doch Elektrorasierer, elektrische Messer, Brotschneidemaschinen, Entsafter, Föhne, Handmixer oder Waschmaschinen - sie sirren und eiern eben auch, wenn man sie in Betrieb nimmt. Sie rumpeln, brummen, knacken. Und in den Ohren von Menschen, die auch dem Alltagsklängen gern melodische und rhythmische Qualitäten ablauschen, sind diese Geräusche: pure Musik.

Auf der Suche nach elektrisch betriebenen Haushaltsgeräten, vorzugsweise aus den 50er- und 60er-Jahren, durchkämmte Petermann im Laufe der vergangenen acht Jahre systematisch Floh- und Antikmärkte und kaufte Privatleuten über Ebay ihre Schätze ab. In den vergangenen Monaten kamen die Paketboten oft mehrmals am Tag und luden die Ware im "Weissen Rausch" ab, Petermanns musikalischem Kunstraum im Medienbunker Feldstraße. Dort wurden die Maschinen auf Herz, Nieren und Frequenzbereich überprüft und auf Hochglanz poliert. Denn irgendwann war in Petermann die Idee gekeimt, dass man solche Geräte hübsch zu einem ganzen Orchester arrangieren und mithilfe elektronischer Steuerung zum gemeinsamen und selbsttätigen Musizieren überreden könnte.

Vor einigen Tagen nun hat sein Blödes Orchester in einem großen Raum im zweiten Stock des Museums für Kunst und Gewerbe erstmals öffentlich Quartier genommen. Bis April konzertiert der Maschinenpark während der Öffnungszeiten des Museums stoisch immer um viertel nach, jeweils eine halbe Stunde lang. Dazwischen fächeln Ventilatoren den erschöpften Klangmaschinen Frischluft zu. Das musikalische Geschehen vollzieht sich wie von Geisterhand geführt. Kein Mensch ist zu sehen, alle Kabel verschwinden in den Podesten. Ein einsames weißes Bakelittelefon steht am Dirigentenplatz. Wenn es das dritte Mal geklingelt hat, beginnt die bezaubernde Musique mécanique zu schnaufen, zu trommeln, zu singen, so gut sie's eben kann. Mal im Dreivierteltakt, mal in einem funky Vierer-Rhythmus, der sich über zwei Takte erstreckt. Staubsauger blasen Crescendi, vier Heizsonnen morsen Knistersynkopen in den Saal.

Mehr als 200 solcher Geräte bilden das Blöde Orchester. Dem Telefondirigenten gegenüber, hinten auf dem Paukerplatz, steht die Miele 307 aus dem Jahr 1953. Ihr prächtiger Anblick macht nostalgisch, erinnert er doch an die goldenste Ära der elektrischen Haushaltshelfer, an Zeiten, in denen die Rundungen von Maschinen noch so üppig waren wie die Kurven von Rita Hayworth, wo der Strom noch einfach aus der Steckdose kam und ein ästhetisches Grauen wie die Energiesparlampe höchstens die Fantasie böswilligster Futuristen entflammt hätte.

"So etwas plant man nicht, solche Ideen hat man einfach", sagt der Erfinder Michael Petermann. Er trägt manchmal eine schwarze Nerdbrille, aber man sieht auch seinem unbebrillten Gesicht an, dass hier einer aufs Schönste von Kunst und Ideen besessen ist und nicht wenig auch von der eigenen Person. Der gelernte Kirchenmusiker, Dirigent, Cembalist und Komponist stammt aus Darmstadt und entwickelte von klein auf ein Faible auch für bildende Kunst. Da ihm als Organist die mechanisch-technische Seite des Instruments immer wichtig war, verfolgte er auch die Entwicklung von Synthesizern, Computern und Midi-Technologie intensiv. "Switched On Bach", die 1968 von Walter alias Wendy Carlos eingeleitete Wiedergeburt der Barockmusik auf dem Moog-Synthesizer, wurde für ihn zur Initialzündung.

"Die Midi-Technologie erlaubt, Musik in ihrer gesamten Komplexität auf dem Computer abzubilden", sagt Petermann, den die Leute vom Museum abwechselnd Genie und Renaissancemensch nennen. Weil die Technik inzwischen weit genug fortgeschritten ist, "habe ich jetzt eben eine Schnittstelle Midi-Haushaltsgeräte konstruiert". Petermann demonstriert der staunenden Öffentlichkeit, wie etwa der Moulinex-Gemüsehobel ein paar Oktaven über dem Kammerton G (50 Hertz) mit steigender Drehzahl eine halbwegs anständige Dur-Tonleiter hinbekommt.

Bei allem Respekt vor der Ingeniösität des Erfinders und dem Eifer seiner Maschinen muss man konstatieren, dass das Melodische durch deren Textilkabel doch um einiges träger fließt als der Rhythmus. Der liegt ihnen dafür im Blut. In einer Sequenz der Petermannschen Haushaltsmusik versteckt sich sogar ein Zitat aus Strawinskys "Sacre du Printemps".

Es ist beunruhigend gut gespielt.

Blödes Orchester Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, geöffnet Di-So 11.00-18.00, Do 11.00-21.00. Das Orchester spielt jeweils 15 Minuten nach der vollen Stunde.