Der musikalische Renaissancemensch Michael Petermann baut aus 150 alten Haushaltsgeräten Hamburgs aufregendsten Klangkörper.

Hamburg. Das Orchester wächst mit der Post. Seit Wochen tragen Boten diverser Paketdienste Tag für Tag ordentlich gepackte Päckchen in den vierten Stock des Bunkers Feldstraße. Sie dürften den Weg vom Fahrstuhl schon auswendig kennen, den der Empfänger seinen Gästen durch Zettel im Flur weist. "Bunkerrauschen" steht da drauf. Der Hauptmieter des weiß getünchten Raums mit der schön gebogenen Innenwand, der sich hinter der Tür auftut, heißt Michael Petermann. Als wäre er nach Tagen der indianischen Visionssuche vom Berge herabgestiegen, trägt er noch einen Namen, der ihm eines Tages zuflog: "Weißer Rausch". "Sie können mich Michael 'Weißer Rausch' Petermann nennen. Das ist mein Künstlername."

Petermann steht in seiner Wirkungsstätte, die er seit Herbst 2005 mit ausgeklügelten Konzertprogrammen für ein handverlesenes, stetig wachsendes Publikum bespielt. Er sieht durchaus nicht aus, als erlange er Rauschzustände auf weniger legalem Wege als durchs Hören und Verfertigen von Musik. Außer mit einem Tisch und ein paar Stühlen ist der Raum normalerweise nur mit einer Küchenzeile, einem kleinen Steinway-Flügel und einem Cembalo Baujahr 1978 möbliert. Das Büro des Kunst-Indianers Petermann liegt unsichtbar hinter einem Vorhang.

Es ist zwölf Uhr mittags, schon wieder kommt ein Bote. Er trägt sieben Pakete in den Raum. Petermann quittiert den Empfang, ohne im Einzelnen zu wissen, was in den Sendungen drin ist. Vielleicht ein weiteres elektrisches Brotschneidemesser? Ein Toaster? Eine Kaffeemaschine?

100 solcher Küchengeräte hat Petermann in den letzten Wochen auf Ebay ersteigert, 150 sollen es werden. Im hinteren Teil des Raums liegen die Trouvaillen liebevoll gruppiert, wie beim Besitzer einer Märklin-Eisenbahn die Lokomotiven, Waggons und Gleise. Ohne Frage steckt in diesem erwachsenen Mann mit den klaren Gesichtszügen ein Kind. Nur wenn es um sein Spielzeug geht, ist er sehr wählerisch. Allein funktionstüchtige und ansprechend gestaltete Küchengeräte der 50er-, 60er- und frühen 70er-Jahre kommen ihm ins Haus. Was ihn daran interessiert, sind nicht nur ihre ästhetischen Eigenschaften. Petermann wird diese Geräte demnächst zum Klingen bringen, alle miteinander. Die Krups-, Bosch- oder Mielemaschinen, die er dieser Tage anhäuft, werden bald den Klangkörper für einen seit sieben langen Jahren gehegten, bis ins Detail ausgearbeiteten Spleen bilden, der nun sichtbar vor seiner Verwirklichung steht: das Blöde Orchester.

Ab Oktober soll diese Assemblage ausrangierter Haushaltshilfen eine von Petermann komponierte und über den Computer gesteuerte Musik spielen und die Besucher des Museums für Kunst und Gewerbe erfreuen. Neue Midi-Technologie ermöglicht dem Komponisten einen differenzierten Umgang mit seinen Instrumenten. "Früher ging nur An oder Aus", sagt Petermann. "Jetzt kann ich die Drehzahl stufenlos beschleunigen oder verlangsamen, was sich auf die Tonhöhen auswirkt."

Wollte man den studierten Cembalisten, Dirigenten und Komponisten einfach Musiker nennen, würde man dem ans Renaissancemenschenhafte grenzenden universellen Gestus zwischen Klang, Bildender Kunst, Sprache und Bühnenkunst nicht gerecht, den Petermann, ungebremst von der behaupteten Anrüchigkeit des Eigenlobs, verströmt. Die Einführungen zu den Konzerten seiner Reihe gestaltet er selbst, und glaubt man seinen Schilderungen, handelt es sich dabei um exzeptionelle Beispiele der Kunst der wohlartikulierten, freien Rede. Aber wer will ihm den Stolz auf vollbrachte Leistungen verdenken: Die Besucherzahlen seines "Bunkerrauschens" haben sich derart positiv entwickelt, dass er mittlerweile dasselbe Programm an zwei Tagen aufführen kann. Im September will Petermann erstmals eine durchgeplante Saison vorlegen. Noch ist nicht entschieden, in welchem Raum des Museums das brummende, sirrende, rumpelnde, liebenswerte Instrumentarium seines Blöden Orchesters seine versponnene Arbeit aufnehmen wird. Dass es selbst bei tauben Betrachtern älterer Jahrgänge nostalgische Empfindungen wecken dürfte, steht außer Zweifel.