“Die Rede des Königs“ läuft morgen im Kino an und könnte aktueller nicht sein. Es geht darum, die richtigen Worte zur richtigen Zeit zu finden.

Das Mikrofon sieht wie eine Landmine aus. Es ist Waffe und Gefahr für den modernen Monarchen, der kommunikationssicher und radiotauglich sein soll. Der Herzog von York steht davor, seine Kiefer mahlen, seine Zunge stockt, seine Worte holpern, die Stille zwischen den Silben hallt ins Londoner Wembley-Stadion. Zehntausende Besucher verfolgen dort das Gestammel zum Abschluss der Empire-Ausstellung 1925, die Live-Übertragung erreicht Radios in ganz England. Es ist ein Graus, körperlich schmerzhaft anzuhören, mitleiderregend.

Das Mitleid hat Albert, Herzog von York, am meisten gequält. Der zweitälteste Sohn des englischen Königs Georg V. stotterte seit seiner Kindheit, aber er stellte sich dem Unvermeidlichen in tapferer Verzweiflung, wie ein Soldat auf verlorenem Posten. Das britische Königshaus, nicht gerade für pädagogische Großleistungen berühmt, hatte ihn auf die Kadettenanstalt in Dartmouth geschickt, wo er bei den Abschlussprüfungen 1911 zu den Klassenletzten gehörte. Er hatte im Ersten Weltkrieg an der Skagerrak-Schlacht teilgenommen und danach ein Jahr lang am Trinity College in Cambridge studiert. Ein pflichtbewusster, ernsthafter, etwas hausbackener junger Mann, aus gutem Grunde schweigsam.

Und das wäre er am liebsten auch geblieben, wenn ihn nicht das Ding, das aussah wie eine Mine, in die Schlacht der Worte geschickt hätte: das Radio. Die British Broadcasting Company (BBC), 1922 gegründet, hatte drei Jahre später zur Zeit seiner Wembley-Rede schon mehr als 600 Angestellte, fast monatlich wurden neue Ortschaften des Königreichs angeschlossen. Es war absehbar, dass Europas labile politische Ordnung nicht lange halten könnte. Das Königshaus musste nicht nur Thronfolger hervorbringen, sondern Redner. Alberts älterer Bruder, Edward VIII., war einer. Der weltgewandte Charming Boy hatte allerdings den Makel, ein "Nazi-Playboy" zu sein, wie ihn britische Zeitungen heute nennen. Einer, der 1936 wegen der einmal geschiedenen und noch mit ihrem zweiten Mann verheirateten Amerikanerin Wallis Simpson als König abdankte und seine Hochzeitsreise dann ausgerechnet nach Deutschland machte, wo er Hitler auf dem Berghof besuchte. Albert hatte laut seinem Biografen John Wheeler-Bennett immer im Schatten des Bruders gestanden. Am Tag vor der Abdankung besuchte Albert seine Mutter, Queen Mary. In sein Tagebuch schrieb er: "Als ich ihr sagte, was geschehen war, brach ich zusammen und schluchzte wie ein Kind." Er sah sich unbarmherzig in die erste Reihe gestoßen.

Und damit lastete auf ihm auch das Erbe aller großen Reden, die Englands Monarchen berühmt gemacht haben und die zur großen Erzählung der britischen Nation gehören. Beispielsweise die Durchhalterede, die Heinrich V. im Sommer 1415 im Krieg gegen Frankreich an seine Soldaten gerichtet haben soll: 12 000 von Hunger und Krankheiten geschwächte Engländer standen bei Azincourt 60 000 ausgeruhten Franzosen gegenüber - und besiegten sie trotzdem. Oder die Rede, die Königin Elizabeth I. im August 1588 vor ihren Truppen in Tilbury hielt, vor der erwarteten Invasion der spanischen Armada: "Ich habe zwar den Leib eines schwachen, kraftlosen Weibes, aber Herz und Mark eines Königs ... und so will ich selber zu den Waffen greifen." Sie wusste damals nicht, dass die Armada im Ärmelkanal bereits vernichtend geschlagen war. Zu Kampfhandlungen kam es in Tilbury nicht mehr.

Dass Albert, der König wider Willen, mit seinem Sprechlehrer Lionel Logue Glück hatte, ist historisch verbürgt. Auch, dass er zunächst an ihm zweifelte: ein Bürgerlicher, ein Nicht-Akademiker, noch dazu Australier aus dem hintersten Winkel des Commonwealth! Logue hatte nach dem Ersten Weltkrieg traumatisierte australische Soldaten behandelt, denen der Schrecken der Artillerie wirklich die Sprache verschlagen hatte. Sein Wissen war reines Erfahrungswissen. Mit leichter Hand nur streift "The King's Speech" (auf Deutsch "Die Rede des Königs") das therapeutische Durcheinander, das in den 1930er- und 1940er-Jahren noch herrschte. Namhafte britische Mediziner hatten sich an dem resignierenden Herzog mit mechanischen Übungen für Zunge und Kiefer versucht, so als gehe es um die richtigen Schraubenstellungen im menschlichen Sprechapparat.

Logue mischte Atem- und Sprechübungen mit einem psychologischen Gespür für die Angst machenden Blockierungen im Leben des Prinzen. Sein Satz "Kein Kind kommt als Stotterer zur Welt" ist richtig, allerdings weiß man heute, dass für das Stottern eine genetische Disposition besteht. Die Sprechstörung kann schon zum Ausbruch kommen, wenn ein Kind Worte mühsamer formt als andere und dafür unter Stress gesetzt wird. Erst in den 1960er-Jahren hat der Amerikaner Charles Van Riper die Therapielandschaft nachhaltig verändert und den verhaltenstherapeutischen Ansatz der "Stottermodifikation" entwickelt. Van Riper, selbst sein Leben lang Stotterer, ging es nicht um die Vermeidung des Stotterns, sondern um vier Therapieschritte, mit denen der Betroffene aus Scham, Isolation und seinem Selbstbild als Versager herausfindet.

Mit Logue an seiner Seite ist es gerade dem unbeholfenen Albert als König George VI. gelungen, dem Königshaus zu seiner größten Popularität vor Lady Di zu verhelfen. Die Briten mochten ihn, weil er keine Chance hatte, ihnen traditionelle Hochnäsigkeit vorzuspielen. Er interessierte sich für technische Neuerungen und die Arbeitsbedingungen der Arbeiter, er hatte wenig Dünkel und verbrachte die Bombennächte des Krieges mit seiner Familie in London, statt sich abzusetzen. Das haben ihm die Briten nie vergessen.

Zu Englands großen Rednern wurde er trotz aller Fortschritte aber nicht. Die Tradition Elizabeths I. oder Heinrichs V. setzten im 20. Jahrhundert Bürgerliche fort: Premierminister Neville Chamberlain etwa, der sich 1939 nach der Annektion der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland in einer bewegenden Parlamentsrede von seiner Beschwichtigungspolitik ("Appeasement") verabschiedete. Und natürlich Winston Churchill, sein Nachfolger, dessen Rede 1940 vor dem Kriegseintritt zu Großbritanniens modernem Mythos wurde: "Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß." Solches Gewicht hat in Deutschland Willy Brandts Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969: "Wir wollen mehr Demokratie wagen."

In "The King's Speech" gibt es eine Schlüsselszene, die den Aberwitz der politischen Rede-Macht aufzeigt: Albert und seine Töchter (Elizabeth und Margaret) verfolgen in der Wochenschau eine Sportpalast-Rede von Hitler. Elizabeth fragt ihren Vater: "Was sagt er?", und der antwortet: "Ich weiß nicht, was er sagt, aber er sagt es gut."

Die Szene bewog deutschfeindliche Kreise in Großbritannien bereits zu fordern, der Film dürfe keinen Oscar bekommen. Nur geht es hier nicht um Alberts politische Einstellung (er war ein Verfechter des Appeasement, aber nie ein Nazi-Anhänger wie sein Bruder). Damals war nicht bekannt, dass Hitler Sprech- und Gestik-Unterricht bei einem Schauspieler genommen hatte. Was der britische König da fassungslos anerkennt, war die Wahrheit: Ein unansehnlicher pseudointellektueller Demagoge hatte ihm die unbeschwerte Nutzung der Sprache voraus. Es ist das Wesen der Propaganda, dass sie sich natürlich, persönlich, eindrucksvoll und kompetent gibt.

Und das ist ja auch heute hochaktuell. Erst am vergangenen Donnerstag saßen Millionen Menschen in Ägypten, im Nahen Osten, in Europa und den USA an den Fernsehern und warteten in der Rede des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak auf den einen, den alles entscheidenden Satz - der nicht fiel. Stattdessen nutzte Mubarak die Redezeit, um sich als Menschenfreund, als Patriot, als alten verkannten Mann und verdienten Lenker darzustellen. Einen Tag später erwies sich, dass es Mubaraks letzte Rede im Amt war.

Vor zwei Jahren verfolgte die Welt ebenso gespannt eine andere Rede in Kairo: Am 4. Juli 2009 wandte sich US-Präsident Barack Obama dort an die ägyptische Jugend und versprach "einen Neuanfang zwischen den USA und den Muslimen auf der Welt". Das Versprechen muss er noch einlösen. Was die Menschen erinnern, ist nicht nur die Schönheit des Wortes, sondern vor allem sein Gehalt.