Christian Nickel verjuxt Daniel Kehlmanns Roman “Die Vermessung der Welt“ zum Kasperletheater. Ein Bucherfolg ist noch lange kein Klassestück.

Hamburg. Übersetzungen eines Textes in andere Sprachen bedeuten stets auch einen Verlust. Nicht nur das ihm eigene Idiom, der Klang und Rhythmus gehen verloren, auch Komposition und Kontext erleiden Einbußen. Dafür erschließt sich das fremdsprachige Werk dem Leser, wird ihm anders als im Original verständlich. Warum aber ein deutscher Meisterroman wie Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" nach der internationalen Leserschaft in Millionenhöhe noch das deutsche Theater erobern soll, bleibt ein Rätsel. Denn ein Bucherfolg garantiert kein Klassestück.

Die nun dritte Aufführung von Dirk Englers szenischer Fassung im Altonaer Theater, das sich programmgemäß der Übersetzung von Büchern auf die Bühne verschrieben hat, beweist nun aufs Neue: Der Wechsel vom literarischen ins dramatische Genre tut dem Original selten gut, gelingt nur unter Abstrichen, dient jedoch in der Verkürzung leichterer Fasslichkeit und in diesem Fall auch der Publikumsbelustigung. Aus den beiden wissenschaftlichen Genies im Buch - dem Weltentdecker Alexander von Humboldt und dem Zahlenerforscher Carl Friedrich Gauß - werden zwei sonderbare Käuze: Jeder auf seine Weise weltfremd beim Erobern des Unbekannten, werden sie zu Karikaturen deutscher Geisteswissenschaftler.

Auf der Bühne steht eine große Holzkiste. Regisseur Christian Nickel und Bühnenbildnerin Birgit Voss kippen dazu noch ein paar Pappkartons auf den Boden. Und fertig ist der Spielplatz, wie ihn Kinder lieben. Zum Umbauen, Verwandeln, Verstecken oder Bekritzeln. Der Regisseur etabliert schon durch die Raumgestaltung sein spielerisch komödiantisches Konzept. Das Frachtgut mit Humboldts gesammelten Schätzen dient als Bühne auf der Bühne. Sie wird zum Floß auf dem Orinoko oder zu einem Hochplateau. Sie ist ebenso eine Spiel- und Trickkiste, aus der Nickel die Figuren hervorzaubert und darin wieder verschwinden lässt. So verhindert er zwar blutleeres Rezitationstheater, was ihm denn auch das amüsierte Publikum mit viel Applaus dankte. Aber gerade bei den Episodenfiguren kann er das Abgleiten in den Klamauk nicht verhindern.

Als "Clowns der Zukunft" bieten Stephan Schad (Gauß) und Jacques Ullrich (Humboldt) eine Comic-Nummer mit Fernrohr. Später werden sie parallel auf der Bühne durch Objektive linsen - der eine als Landvermesser, der andere als Entdecker. In Ähnlichkeit und Gegensatz ein klassisches Komiker-Duo, entlarven Schad und Ullrich aber auch die Charakterschwächen der beiden Geistesköpfe: Der misanthrope, schmerzgeplagte Stubenhocker Gauß hasst es, einen Fuß vor die Tür zu setzen, während der eitle Humboldt mit seinem Assistenten Aimé Bonpland (Ole Schlosshauer) frohgemut auf Karton-Pferdchen durch Spanien hoppelt, um Hügel zu vermessen.

Das Abenteurer-Duo verschlägt es auch unter Kannibalen in den brasilianischen Urwald. Eine Chance für Ullrich, Humboldts eitlen Wissensdurst und deutsche Gründlichkeit aufs Korn zu nehmen. Der Dauerstreit zwischen ihm und Bonpland zeigt auch den Konflikt zwischen den Generationen, den Gauß mit seinem "Versager"-Sohn Eugen (David Allers) spiegelt. Die Klagen über Alter und Tod klingen auch in den mehrstimmig gesungenen Liedern an, doch in Nickels gegen Ende durchhängender Aufführung wollen sich szenische Doppelbödigkeit oder Poesie nicht so recht einstellen.

Der Regisseur übersetzt Kehlmanns subtile, sprachspielerische Ironisierung des Genres historischer Roman und des deutschen Wissenschaftler-Typus entschlossen in saftige Komödiantik. Er hat auch keine Scheu vor derbem Kasperletheater mit Krokodil und Kant-Puppe: Der deutscheste aller deutschen Philosophen schrumpft auf die Größe eines possierlichen Handpüppchens, das sich fiepend auf den Knien seines Spielers spreizt und nach "Wurst" verlangt.

Gemessen an Kehlmanns satirischer Ideologiekritik an berühmter deutscher Geistesgeschichte bleiben solche Szenen zu unscharf und die Figuren putzig im Schattenriss historischer Kostüme. Distanz, Fülle und Vieldeutigkeit der kehlmannschen Meisterprosa in indirekter Rede gehen notgedrungen in der direkten gröberen Spielform verloren. In die Theaterkiste gesteckt, bleiben alle Anspielungen und Raffinessen des Sprachkunstwerks weitgehend auf der Strecke. Liebhaber des Buches werden sie schmerzlich vermissen.

Die Vermessung der Welt bis 11.3., Altonaer Theater, Karten: T. 39 90 58 70; www.altonaer-theater.de