Wenn der Mönch mit dem Rockstar, die Nonne mit der Diva ringt: Kapuze ab vor dem Mittelalter-Rock der Zisterzienser-Mönche von Gregorian.

Hamburg. Ich lüfte jetzt mal das Erfolgsgeheimnis der Projektband Gregorian, wenn's recht ist. Denn warum sich dieser Kutten-Pop verkauft wie geschnitten Brot (fünf Millionen Platten, sagt die Website), ist rätselhaft nur bei flüchtiger Betrachtung. Also: In fast jedem Mann ringt der Mönch mit dem Rockstar, in fast jeder Frau liegt die Nonne mit der Diva im Clinch. Die meisten Leute wollen es krachen lassen, sehnen sich aber auch nach Einkehr. Eine Hand gebärdet sich exzentrisch, die andere franziskanisch anspruchslos. Am Morgen wollen wir nie wieder trinken, am Abend wissen wir nichts mehr davon. Wir sind neidisch und edel, finster und fromm. Wir sind gut, und wir sind böse. Im Zuge der allgemeinen Lebensbeschleunigung lockt die Musik von Gregorian beide Identitäten auf einmal hervor und bedient sie amtlich. So einfach ist das, so ökonomisch.

Gregorian versöhnt unsere Streithähne im Inneren mit einem ebenso schaurigen wie wirkungsmächtigen musikalischen Rezept. Der Kopf der Truppe, der Hamburger Frank Peterson, hat sich darauf spezialisiert, Songs überwiegend aus dem angloamerikanischen Repertoire so lange mit dem Glätteisen gregorianischer Melodik zu frisieren, bis die popbunten Lieder ein paar leuchtend graue Strähnchen haben. Als Gegengewicht zum gefakten Altertumslook sirren die Stahlsaiten der Westerngitarre, jault die Rockgitarre, bollern Bass und Schlagzeug. Für orchestrale Heißluft sorgen Keyboards. Über dieser Cinemascope-Klangspur singen acht männliche Sänger und manchmal die Versuchung in Person, eine Frau, besagte Pop- und Rocksongs.

Peterson tut so, als vergeistliche er das Triviale, denn er beachtet die typischen Eigenschaften gregorianischer Gesänge. Die meist einstimmig vorgetragenen Melodien folgen den Kirchentonarten, Ganz- und Halbtonschritte sind oft anders verteilt als bei Dur und Moll. Sie bewegen sich in Stufen, selten in Sprüngen. Ihre Notenwerte sind meist gleich. Das war's an dieser Stelle auch schon vom Grundkurs Musik.

Madonnas "Frozen", der Engtanzklassiker "Child In Time" von Deep Purple, eine englische Version von Unheiligs "Geboren um zu leben", Stücke von Radiohead, Nazareth oder Led Zeppelin, auch Quengelsongs von Nine Inch Nails oder Rammstein: Bei Gregorian klingt alles nach dem Sackleinen klösterlicher Abgeschiedenheit, aber man soll hören, dass sie drunter scharfe Wäsche tragen. Die Sänger schrauben ihre Stimmen gern ins unschuldige Engelsfalsett hoch und treten in (pseudo-)geistlicher Kleidung vom Büßerhemd bis zum Kardinalsgewand auf.

Mit Carl Orffs "O Fortuna" findet sich im Repertoire neuerdings auch Pop, den schon Hitler liebte. Das passt gut zum Fackelzauber in Zentralperspektive, den Gregorian auf der Bühne veranstaltet. Geschichtsvergessen, wer in dieser Show nur eitel Mystizismus erblickt und nicht auch ein Spiel mit der Ikonografie des Faschismus.

Mit Gregorianik im Originalklang bessern singende Mönche unterschiedlicher Orden die Klosterkasse auf. Ihre CDs bringen ein Quäntchen Frömmigkeit ins Heim, aber null Groove. Deshalb wollten die Marketinggenies von Universal Classics kürzlich zwei Schmetterlinge mit einem Netz fangen. Dem österreichischen Meistertrommler Martin Grubinger trugen sie auf, den reinen Mönchsgesängen der Benediktinerbrüder aus dem Kloster Münsterschwarzach die Vielfalt seiner virtuos gespielten Perkussionsinstrumente gegenüberzustellen. Das Album "Drums' n'Chant" ging schrecklich schief. Damit der Beat sich mit den Ruinen der alten Liturgie verträgt, muss er archaisch sein. Bei Gregorian immerhin sitzt das Fleisch im Geist wie ein Stachel.

Gregorian , 2.2., 20.00, CCH, Saal 1 (S Dammtor) Tickets zwischen 37,60 und 52,55 in den Abendblatt-Ticketshops, T. 30 30 98 98