Die Dokumentation “Utopia Ltd.“ über die Hamburger Band 1000 Robota eröffnet auf der Berlinale die Reihe “Perspektive Deutsches Kino“.

Hamburg. "Das Musikbusiness fickt meine Seele", sagt Anton Spielmann, Sänger und Gitarrist von 1000 Robota, in der Dokumentation, die Sandra Trostel über die Band gedreht hat. Und die Regisseurin erklärt: "Wenn die Kunst von Wirtschaftlichkeit gelenkt wird, dann frage ich mich: Wo bleiben die Werte? Ich bin selber in diese Maschinerie rein geraten, bis die Finanzierung des Films abgeschlossen war. Das war so ein Kampf oftmals."

Zwei Aussagen. Zweimal kulturelle Realität in Hamburg. Zwei Sätze, die um das Thema kreisen, wie es sich vereinbaren lässt, Kunst schaffen zu wollen und zugleich (über-)leben zu müssen. Die Ideale, sie stoßen an Grenzen. Der Name, den Trostel ihrem Film gegeben hat, er ist Programm: "Utopia Ltd.".

Ihre Studie einer blutjungen Rockband, die zwischen Markt und Medien um künstlerische Eigenständigkeit kämpft, die von peinlich bis provokant kaum eine Position auslässt, wurde nicht nur mit dem Prädikat "wertvoll" ausgezeichnet, sondern jetzt auch zur Berlinale eingeladen. Der 90-Minüter eröffnet im Februar die Reihe "Perspektive Deutsches Kino", die innovative Nachwuchsfilme präsentiert, und konkurriert somit um den Preis "Dialogue en perspective", über den 19- bis 29-Jährige aus Deutschland, Frankreich und Bosnien in einer Jury entscheiden.

"Ich bin fast rückwärts vom Stuhl gefallen", sagt Trostel über die Berlinale-Einladung, lacht und wischt sich ihren braunen Pony aus dem schmalen Gesicht. Zum Interview hat sie ins Café Orange an den Billhorner Röhrendamm geladen, in der Nähe ihrer kleinen Firma Tiny Terror Productions. Ein Bauarbeiter trinkt in einer Ecke seinen Kaffee. Vorne am Tresen kaufen die Menschen aus Rothenburgsort Dinge des täglichen Bedarfs. Ein Fernseher zeigt Musikvideos. Nicht die verstörenden, robota-artigen, sondern Mainstream. Take That und "Somewhere Over The Rainbow" von dem freundlichen Hawaiianer. Die Schanze, St. Pauli, das sei ihr mittlerweile zu anstrengend, zu aufpoliert, sagt die 34-Jährige. Zur Szene der Stadt lebt sie in räumlicher Distanz, ihr Film jedoch liegt mittendrin.

Das Regiedebüt der gelernten Cutterin fällt in eine Zeit, in der sich die Referenzen um 1000 Robota durch die Genres hinweg verdichten. Hamburgs Designhaus Herr von Eden hat dem Trio eine Kollektion entworfen. Theatermacher René Pollesch benannte sein aktuelles Stück an der Berliner Volksbühne, "Schmeiß Dein Ego weg!", nach einem Robota-Song. Und vergangenes Jahr erschien das zweite Album "ufo" bei Daniel Richters Plattenfirma Buback, auf deren Labelabend die Band am 3. Februar im Hafenklang spielt.

Trostel geht es jedoch nicht darum, Erfolg abzubilden. Im Frühjahr 2008 hatte sie die Band das erste Mal live gesehen. "Ich dachte mir: So was gab's lange nicht. So frech, laut, anklagend." Die Texte, die Performance, die Intensität faszinierten sie. Ihr Film begleitet die drei bei der immer wiederkehrende Frage: "Welche Wege schlage ich ein?" Und so verfolgt der Zuschauer, wie sich die Teenager für ihren ersten Plattenvertrag beim Label Tapete Records entscheiden, andererseits aber das Angebot ausschlagen, bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest aufzutreten.

"So, jetzt werden wir wieder zur Tapete", hätte Kamerafrau Lilli Thalgott häufig gesagt. Eine Art von Verschwinden. Die Filmerinnen als unsichtbarer Teil der Gruppe. Eine Luxussituation. Und ein großer Pluspunkt für das fertige Werk. Denn die Band ist nicht nur beim "Reden über" zu sehen, dabei, wie sie sich immer wieder neu verorten zwischen Größenwahn und Verletzungen, Hype und Frust. Wie die Musiker spielen und streiten, ist wirklich zu erleben.

Unglamouröser Touralltag mit engen Hostelzimmern und Pizza auf dem Parkplatz, der 18. Geburtstag von Bassist Sebastian Muxfeldt mit Gabentisch im gutbürgerlichen Wohnzimmer, Schlagzeuger Jonas Hinnerkort, wie er seine Abiprüfung verlässt: Trostel und Thalgott spüren 1000 Robota sehr nah nach. Die Dokumentation ist parteiisch, sie bleibt bei den Protagonisten und verzichtet auf Kommentare aus dem Off. Auch die Konflikte, etwa mit Produzent oder Plattenlabel, sind fühlbar. Die Kamera geht ins Detail, zeigt angespannte Gesichter, eine auf die Lehne klopfende Hand. Energie, Nervosität.

Für Trostel birgt diese Intimität aber auch eine hohe Verantwortung. "Wenn du den Leuten so lange folgst, dann merken die dich nicht mehr." Es ist ein behutsamer, toleranter, aber auch sehr offener Blick, den sie auf die Band wirft. Ab und an gab die Regisseurin den Beobachterposten aber auch auf, setzte sich etwa auf der Rückfahrt der England-Tour hinters Steuer, als der Fahrer zu erschöpft war. Zwischen Freundin, Schwester, manchmal sogar Mama habe ihr Status gewechselt, erzählt Trostel. Auch Sätze wie: "Alte Frau, geh weg!", hätte sie mal zu hören bekommen. Der Dreh, ein gruppendynamischer Prozess, getrieben von Ehrlichkeit, Charakteren, Leidenschaft.

Den Hauptfiguren selbst gefällt "Utopia Ltd.". Vor allem deshalb, weil der Film "genau diesen Kern der allgemeinen Haltung, die man vielleicht unter der Kategorie Punk bündeln könnte, umschreibt", erläutert Spielmann. Für Hinnerkort ist zudem spannend, dass sie sich im Nachhinein beim "Ablegen des Jugendlichen" betrachten können.

Einen Verleih hat Trostel für ihre Dokumentation noch nicht, aber zwei Firmen haben bereits angefragt. Eine Kinokarriere wäre diesem feinen Stück Zeitgeschichte, das mit Minimalbudget und komplett ohne Fernsehfinanzierung gedreht wurde, zu wünschen. Unter anderem hatte die Filmemacherin 20 000 Euro von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein erhalten.

Die ökonomischen Zwänge bleiben Thema. Für Trostel ein Symptom unserer Tage: "Ob Finanzkrise oder Dioxinskandal, alles dreht sich um die wirtschaftliche Frage, das Rad dreht sich heiß. Es gibt kaum noch Raum, auch mal etwas falsch zu machen, sich zu entwickeln." Umso besser, dass sowohl Trostel als auch 1000 Robota sich diese Freiheit einfach genommen haben.