Aus Niederlagen lernt man mehr als aus Erfolgen, sagt Hans Magnus Enzensberger. Deshalb sammelt der Schriftsteller seine Lieblings-Flops.

Hamburg. Früher mal war es bei den Salzburger Festspielen üblich, einen Dichter als Gast einzuladen. Der durfte dann etwas schreiben. Hans Magnus Enzensberger wurde die Ehre 1999 zuteil, der Aufführung seines Theaterstücks "Ohne uns. Ein Totengespräch" beiwohnen zu dürfen. Es ging um das Zwiegespräch zwischen Banker und Ex-Terrorist in einem heruntergekommenen Militärcamp in Malaysia.

Zeugen der Veranstaltung waren, im schicken "Kavaliershäuschen" des Schlossparks, ein paar vermutlich gelangweilte, aber "höflich zuhörende Honoratioren", wie Enzensberger berichtet: ein absurdes Setting für ein derartiges Sujet, ein formvollendetes für eine Pleite. Derer gab es viele in seiner Laufbahn, aber keine war luxuriöser. "Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin" hat der Altersintellektuelle seine jetzt erschieneeigenwillig-kokette Sammlung genannt.

Logisch, dass das Werk nicht einfach den Titel "Meine Lieblings-Flops" trägt: Das wäre dem notorischen Verweigerer zu billig. 81 Jahre alt ist Enzensberger mittlerweile, in allem, was er tut, wirkt er immer noch wie ein heiteres Kind. Zum Beispiel, wenn er seinem Flop-Kompendium eine "Prämisse" voranstellt, die all die Niederlagen als Autor von Kino-Drehbüchern, Opernlibretto-Verfasser, Dramatiker, Verleger und Schriftsteller einleitet.

In dieser Prämisse formuliert der preisgekrönte Lyriker ("Verteidigung der Wölfe"), Macher des berühmten "Kursbuchs", das 1968 den "Tod der Literatur" verkündete, schöne Sätze, die den Rang eines Bonmots haben, sie sind sehr wahr. Jeder Peinlichkeit, schreibt er, "wohnt eine Erleuchtung inne, und während der Arbeiter im Weinberg der Kultur seine Erfolge rasch zu vergessen pflegt, hält sich die Erinnerung an einen Flop jahre-, wenn nicht jahrzehntelang mit geradezu blendender Intensität". Die Behauptung kann einige Beweiskraft beanspruchen: Wer erinnerte sich nicht eher an den knallroten Kopf, den man einst bei einer kleinen, fiesen Blamage unter Zeugen bekam, als an den Beifall an anderer Stelle?

Enzensberger kennt auch die therapeutische Wirkung von Flops: "Sie können berufsbedingte Autorenkrankheiten wie Kontrollverlust oder Größenwahn wenn nicht heilen, so doch mildern." Und so berichtet der Dichter und Denker, der mal zu den maßgeblichen Stimmen der Republik gehörte (Jüngere kennen ihn oft gar nicht mehr), wonnevoll und selbstironisch von fallengelassenen Filmprojekten und Opern- oder Vaudevillebearbeitungen, die beim Publikum durchfielen. Natürlich wirken die Niederlagen nicht wirklich wie Niederlagen, weil, daran lässt Enzensberger wohl kaum einen Zweifel, künstlerisch mit seinen Arbeiten alles in Ordnung war. Es waren stets die Umstände: irrtürmlich verpflichtete Regisseure aufgrund einer Namensverwechslung oder prahlerische Geldgeber.

Wenn man sich die Treatments zu möglichen filmischen Bearbeitungen der Lebensläufe und skurrilen Episoden Alexander von Humboldts und Georg Christoph Lichtenbergs zu Gemüte führt, stellt man fasziniert fest: Das hätten tatsächlich Filme werden sollen! Namentlich in Sachen Humboldt kam Enzensberger, dem unsteten Meister der kleinen Form, der nie einen großen Roman geschrieben hat, dann aber eine griffigere Humboldt-Deutung in die Quere: in Form von Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt".

Freimütig bekennt Enzensberger, dass seine Einfälle oft nie über das Stadium der Skizze hinausgekommen sind; und so ist am ehesten wohl seine Selbstdisziplin ein Flop. Er ist nicht allein: Die meisten Menschen sind geborene Projektemacher, sagt Enzensberger. Auch wenn sie immer Zeuge werden, wie Projekte wie Seifenblasen zerplatzen. Der Mensch ist im Wolkenkuckucksheim der Ideen, wie überall, ein Sisyphos. Es spricht einiges dafür, fantasievoll, aber nicht tatkräftig zu sein: Dann bleiben einem Blamagen, Missachtungen und Spott erspart. Und so labt sich Enzensberger vergnügt an seinen nie verwirklichten Drehbüchern und Bühnenstücken ("Marx und Engels. Eine Revue"), er ist die Tangente, die an vielen Kreisen kratzt, ohne je in sie einzudringen.

Das ist ihm, auch politisch, oft vorgehalten worden: dass er sich im Abseits aufhält, dort, wo die Menge nicht ist. Enzensberger ist ein Dazwischenfunker, kein Anführer: ein Kommentator der Zustände, dessen Werk wie eine Collage wirkt, sie verrät ebenso viel Scharfsinn wie Liebe zum Nonsense - unter anderem.

Dass Suhrkamp jetzt nicht nur sein "Flop"-Buch, sondern ein "Album" Enzensbergers herausbringt, ist - die Stücke in dem Buch sind disparat - keine Schau des Abseitigen, sondern eine seiner Greatest Hits. Essays, Zitate, Schnipsel aus Presseerzeugnissen, Fotos, Gemaltes, Faksimiles, Goethe und Warhol, Tiraden und Schelmisches: Alles getoppt von einem Bilderrätsel, das man gar nicht lösen, sondern nur anschauen will. In "Erinnerung an einen Tumult", seiner 1968-Betrachtung, spricht Enzensberger vom Gedächtnis, "diesem chaotischen, delirierenden Regisseur"; es schiebt Bilder übereinander. Erinnern bedeutet: collagieren.

Hans Magnus Enzensberger: Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin, Suhrkamp, 242 S., 19,90 Euro; Album , Suhrkamp, 336 S., 39,90 Euro