Hercules And Love Affair zelebriert auf “Blue Songs“ die schönste Synthese aus Melodramatik und Disco. Natürlich geht es um endlose Liebe.

Vor drei Jahren gab es dieses Lied. "Blind" sang ungewohnt euphorisch Antony Hegarty, genau, die Kastratenstimme von Antony And The Johnsons. Nur, dass diesmal Discobeats den Rhythmus vorgaben. Die Sounds hatte sich ein smarter Produzent aus New York ausgedacht. Mit ein paar Freunden und Gastsängern hob Andrew Butler das Kollektiv Hercules And Love Affair aus der Taufe, das gleichnamige Album galt als Sensation. Stylische Referenzen an Chicago House und Detroit Techno kreuzte Butler mit emotionalen Texten, die in ihrer Melancholie fast dem Blues entlehnt sein könnten. Man schwelgte im Hedonismus der New Yorker Nachtklubs der 70er-Jahre.

Die Songs für den Nachfolger, "Blue Songs", der am 28. Januar erscheint, hat Butler auf der Endlos-Tournee komponiert. Schon im Opener "Painted Eyes" überrascht eine Flöte. Eine tiefe Stimme singt von freiem Geist, der nie vergehen soll. Und von endloser Liebe natürlich. Es ist ja Pop. Weitere traditionelle Instrumente wie Klarinette und Gitarre gesellen sich hinzu.

"Disco beinhaltete die besten Session-Musiker", sagt Butler. "Instrumente klingen auf dem Synthesizer einfach nicht so menschlich und gefühlvoll." Es ist nicht das Einzige, was sich verändert hat: Butlers enger Freund Antony Hegarty ist nicht dabei, Ex-Sängerin Nomi Ruiz kümmert sich um eigene Projekte. Butler ist gestresst von New York in seine Heimat Denver zurückgezogen. Die Stimme auf "Painted Eyes" gehört Aerea Negrot, einer in Berlin lebenden Transsexuellen, Spross einer Tanzfamilie mit Wurzeln in Venezuela. Im hypnotischen "Answers Come In Dreams" singt sie dunkel und expressiv, wie die kleine Schwester von Grace Jones.

Die andere unbekannte Stimme, die aufmerken lässt, gehört Shaun J. Wright. Der Chicagoer liebte den speziellen House-Sound seiner Heimatstadt. Er verbrachte seine Zeit mit Radio- und Mode-Jobs und beim Vogueing, einem speziellen House-Dance, bekannt durch Madonna. Eines Tages traf er Butler auf einem Konzert. Wright erinnerte Butler an Sylvester, einen Drag-Performer, der mit 41 Jahren an Aids starb. Und so darf er nun Tracks wie "My House" oder "Falling" mit seinem schwülen Organ veredeln.

Butler selbst ist auf "Leonora" neben seiner besten Freundin Kim Ann Foxman zu hören. Die New Yorker Goldschmiedin und Djane war schon auf dem Debüt dabei. Wie diese ganze hybride Band erscheint die hier Besungene wie ein Überwesen, von den Sternen geliebt, geschaffen für die Ewigkeit. Die Musik von Hercules And Love Affair scheint nur bedingt in der Wirklichkeit verhaftet, selbst wenn sie von realen Personen erzählt. Und gelegentlich so vertraute Samples des 80er-Jahre-Wavepops der Marke Yazoo oder Giorgio Moroder heranzieht.

Der 32-jährige Andrew Butler ist im Popgeschäft alles andere als ein gewöhnlicher Knöpfedreher. Er studierte elektronische Musik, seine Professoren kamen aus dem Umfeld der Neuen Musik. Sie brachten ihm John Cage oder Philipp Glass nahe.

Später entwickelte Butler Musik für Tanzchoreografien. Schon früh war er besessen von antiken Göttergestalten. Die Geschichte von Herkules und seinem jungen männlichen Liebhaber Hylas, also die Verletzlichkeit des stärksten Mannes der Welt, imponierte ihm schon, als er mit 15 Jahren sein Coming-out hatte, seither sucht er das Feminine im Hyper-Maskulinen. Wie ein Bildhauer im alten Athen schlägt er aus Klanggestein erlesene Töne.

Seine zweite Göttin heißt Miss Piggy, er verehrt sie in Form von Plüschpuppen, Bettwäsche und als Duschvorhang. "Sie ist elegant, aber manchmal auch richtig neben der Spur." Empfindsam, maskulin und hysterisch wie er selbst. Vor dem Studium jobbte er als Fitnesstrainer und DJ in einer Lederbar in Denver. In jüngeren Jahren habe ihn eine Gesellschaft interessiert, die sich über Alkohol, Drogen und Sex definiere. Heute singt er von alltäglichen Begebenheiten, die mit den hedonistischen Disco-Rhythmen schön kontrastieren.

Die Songs des zweiten Albums changieren wieder zwischen melodramatischem Liebeslied, Drama, Ewigkeitsanspruch und dionysischer Polyrhythmik. Das einzige Cover ist "It's Alright" in einer Lo-Fi-Akustik-Version, nicht etwa von den Pet Shop Boys, sondern von den beiden Afroamerikanern Sterling Void und Paris Brightledge, die den Song 1987 schrieben. Sie sangen von einem utopischen Leben, ohne Krieg und Hunger. "Die konnten sich eine bessere Welt vorstellen", sagt Andrew Butler. "Ich wollte den Song herunterkochen, seine Schönheit eindampfen. Er sagt mir, dass es immer Hoffnung gibt." Butler widmet den Song einem depressiven Plattenhändler, von dem er ihn seinerzeit für 20 Dollar gekauft hatte. Es war nicht umsonst.

Hercules And Love Affair: Blue Songs: Cooperative Music (Universal), ab 28.1. erhältlich, Konzert 26.2., 23.00, Prinzenbar, Kastanienallee 20, Karten 15,- im Vvk.; www.inlovewithhercules.com