Magier der Langsamkeit: Robert Wilsons legendäre minimalistische Inszenierung von Richard Wagners “Parsifal“ kommt zurück an die Staatsoper.

Staatsoper. Richard Wagners "Parsifal" hat seit seiner Bayreuther Uraufführung im Jahre 1882 ungezählte Deutungsversuche erlebt. Für die Geschichte von dem reinen Toren, der sich in den Bezirk des heiligen Grals verirrt und von den Gralsrittern zum Nachfolger des versehrten Gralskönigs Amfortas erkoren wird, gibt es etwa diese Varianten: die einen erblicken darin eine auskomponierte kunstreligiöse Liturgie, andere ein radikal antisemitisches Manifest, dritte eine statische Studie der Entfremdung.

Wagners ins Unendliche gedehnten musikalischen Abläufe haben in Robert Wilson, diesem Magier der Langsamkeit, einen kongenialen Übersetzer gefunden. Diesen Sonntag wird an der Staatsoper die legendäre Inszenierung wieder aufgenommen, die der texanische Regisseur 1991 auf die Bühne an der Dammtorstraße brachte. Es dirigiert Staatsopernchefin Simone Young, die Titelrolle singt Klaus Florian Vogt. Schon bei der vorigen Wiederaufnahme 2004 bejubelte die Kritik Vogts lyrisches Timbre und die Leichtigkeit, mit der er die Riesenpartie bewältigte. Jüngst vertrat er Jonas Kaufmann im Bayreuther "Lohengrin". Wolfgang Koch übernimmt die Rolle des Amfortas, Angela Denoke singt die ambivalente Verführerin Kundry, und Peter Rose verkörpert den Gurnemanz.

Dieser "Parsifal" ist ein echter Wilson - ein Wilson eben, wie man ihn schon 1991 nur allzu gut kannte: Schlicht in der Ausstattung und magisch beleuchtet, verzichtet die Inszenierung noch auf die spärlichen Elemente konkreter Handlung, die Wagner seinem Libretto zugestanden hatte. Bei Wilson fliegen weder Schwan noch Speer, die ambivalente Verführerin Kundry küsst Parsifal nicht, und sogar das Bersten des Klingsorfelsens, den man andernorts gerne mit hollywoodtauglichen Spezialeffekten zelebriert, verkneift sich der Regisseur.

So reduziert wie Wilsons Bühnenbild ist auch die Personenführung. Bis in die Fingerspitzen hinein schreibt dieser Perfektionist seinen Sängern vor, welche Bewegungen sie machen, vor allem aber, welche sie nicht machen dürfen: Für Wilson zu singen muss den Charakter einer fernöstlichen Stillhalteübung haben - was dem natürlichen Fluss des Stimmklangs nicht immer zugutekommt.

Aus Wilsons Ästhetik heraus ist das nur konsequent. "Ein naturalistischer Parsifal ist für mich nicht möglich - er wäre eine Lüge", erläuterte der Regisseur seinen Ansatz anlässlich der Premiere. In der Tat ist "Parsifal" wohl das Werk Wagners, in dem Handlung und Figuren am stärksten und deutlichsten dazu dienen, Ideen zu verkörpern. So gibt Gurnemanz, der Chronist der Gralsgesellschaft, Parsifal mit auf den Weg: "Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit." Wagner greift hier erkenntnistheoretisch voraus auf die Zeit als vierte Dimension.

Wäre es nach dem Komponisten gegangen, dann hätte sein "Bühnenweihfestspiel" - der Begriff "Oper" war ihm viel zu diesseitig für dieses Werk - indes nie eine andere Bühne gesehen als die des Bayreuther Festspielhauses, für dessen Wiedereinweihung er es geschrieben hatte. Zum Glück für die Nachwelt erlosch die Verfügung des Komponisten 30 Jahre nach dessen Tod. Doch zeigt der regelrecht entmaterialisierte Instrumentalklang, wie genau Wagner den Orchestersatz auf die einzigartige Bayreuther Akustik zugeschnitten hatte: Gemäß seiner Anweisungen ist der Orchestergraben fast vollständig bedeckt, sodass die Musiker unsichtbar bleiben und der Orchesterklang mit dem der Sänger verschmilzt, bevor er das Publikum erreicht.

Wagner lässt sich immer viel Zeit, seine musikalischen Gedanken zu formulieren. Aber selbst im Vergleich zu seinen übrigen Partituren ist der "Parsifal" eine Herausforderung für den Hörer - zumal in dieser Inszenierung. So lange bleiben die statischen Bilder und Klänge auf Netzhaut und Trommelfell, dass sie sich mit den jeweils nachfolgenden überlagern. Als wollten sie den Hörer aus den schnöden Alltagskategorien herauslösen und in einen Zustand höherer Wahrnehmung versetzen - bloß nicht in den Schlaf.

Parsifal Staatsoper (U Stephansplatz), Dammtorstraße, Restkarten zu 52,- bis 89,- unter T. 35 68 68, weitere Vorstellung: 23.1.; www.staatsoper-hamburg.de