Anfang Januar soll das Insolvenzverfahren gegen die Eutiner Festspiele eröffnet werden. Die Stadt riskiert, ihre Hauptattraktion zu verlieren.

Hamburg. Ob's am Eutiner Wasser liegt, wie Daniel Kühnel sarkastisch vermutet? Sumpfig jedenfalls klingt, was sich zum Ende der Jubiläumssaison 2010 an Zahlen, Finanzlöchern und Schuldzuweisungen bei den seit 60 Jahren durchgeführten Festspielen im Herzen der Holsteinischen Schweiz auftut. Zugleich stehen die sommerlichen Aufführungen auf der Bühne am Großen Eutiner See, die seit den 50er-Jahren unzähligen Menschen ihre erste Begegnung mit der Oper bescherten und in guten Zeiten 40.000 Zuschauer pro Saison zogen, vor einem Jahr größter Ungewissheit.

Die Geschichte ist traurig - und zugleich ein Lehrstück aus der Provinz. Am 11. Oktober meldete der Geschäftsführer Josef Hussek die Insolvenz der Festspiele an. Hussek, anerkannter Experte für Opernstimmen und im Umgang mit Zahlen nicht als übermäßig penibel verschrien, war gerade erst als Operndirektor unter Simone Young von der Hamburgischen Staatsoper im Unfrieden geschieden. In Eutin saß er von Juni 2010 an am Schreibtisch, acht Wochen später wurde er Intendant des sinkenden Schiffs. Zahlungsunfähig waren die Festspiele bereits am 30. August. Ende November soll der Insolvenzverwalter Reinhold Schmid-Sperber Hussek deshalb aufgefordert haben, 386 196,61 Euro an die Festspiele zurückzuzahlen, mit denen dieser noch nach dem 30. August Rechnungen bezahlte. Anfang Januar 2011 soll das Insolvenzverfahren eröffnet werden.

Die Tage der alten gemeinnützigen GmbH, die bislang die Festspiele trug, sind gezählt. Der Stadtvertreter Rudolf Behrendt (CDU) fordert Presseberichten zufolge einen Untersuchungsausschuss, der die Verantwortung der Festspiele für die Finanzmisere aufklären soll. Örtliche Gewerbetreibende, die im Wirtschaftsverband Eutin (WVE) zusammengeschlossen sind, schmieden ehrenwerte Rettungspläne. Sie hoffen auf Hilfe, die über Eutins amerikanische Partnerstadt Lawrence aus der Kansas University kommen soll. Der Leiter der dortigen Musikabteilung David Neely, familiär Deutschland verbunden und als Dirigent bis 2001 in mehreren deutschen Städten tätig, fungiert im Plan, den die WVE den Stadtverordneten im Januar schmackhaft machen will, als eine Art Schattenintendant. Ob die Stadt dafür Geld geben wird, ist bei dem Druck, unter dem die Kommunalvertreter derzeit stehen, fraglich. Dabei sind die Festspiele so ziemlich das einzige Pfund, mit dem Eutin wuchern kann.

Fast genau vor einem Jahr, kurz nach dem Rücktritt des Intendanten Heinz-Dieter Sense, hatten die Festspiele der schon damals drohenden Insolvenz noch getrotzt, indem der Aufsichtsrat seinem Mitglied Daniel Kühnel die künstlerische Leitung übertrug. Kühnel, im Hauptberuf Geschäftsführer der Hamburger Symphoniker, die seit 53 Jahren treu im Graben vor der Freilichtbühne die Opernaufführungen begleiten, stellte in Rekordzeit einen Spielplan auf die Beine, deren finanzielle Wackligkeit nach seinen Worten allen Beteiligten bewusst war. Ein Risiko von rund 200 000 Euro schwebte wie ein Damoklesschwert über den Planungen.

Mithilfe der Hamburger PR-Firma Inmedias, die auch die Symphoniker betreut, sorgte Kühnel zudem für einen komplett neuen Markenauftritt. Die Mühe lohnte sich - lange war Oper in Eutin nicht mehr so spannend und kurzweilig gewesen wie im vergangenen Sommer. Das Publikum nahm den modern inszenierten "Freischütz" an, es mochte die "Traviata" und liebte auch die kleinen Nebenproduktionen.

Trotzdem reichte das Geld am Ende hinten und vorne nicht, um die Ansprüche aller Dienstleister zu befriedigen. Obgleich Geschäftsführer Hussek nach einer raschen Entschuldung durch die Stadt in Höhe von 281 000 Euro im Spätsommer fleißig Rechnungen bezahlte, warten etwa die Kieler Philharmoniker noch auf 50 000 Euro Honorar. Sabine Hengesbach von Inmedias hat ebenfalls fünfstellige Außenstände, weil sie Rechnungen bei Druckereien schon bezahlt hatte. Und bei den Hamburger Symphonikern steht das Festival gar mit 160 000 Euro in der Kreide.

Nicht nur in Eutin ist deshalb der Katzenjammer über die offenbar chronisch gewordene Zahlungsunfähigkeit ihrer einstmals so strahlkräftigen Festspiele groß. Die Hamburger Symphoniker stehen regelrecht vor einem Scherbenhaufen. Auch die 200 000 Euro, die das Eutiner Engagement in der Regel abwarf, fehlen nun im Etat 2011.

Denn die Symphoniker sind in keinem der Sandkasten-Spielpläne für 2011 vorgesehen. Nicht in dem der WVE, auch in keinem der mittlerweile sechs Szenarien Josef Husseks, der sich bis zum Beweis des Gegenteils weiterhin als Intendant versteht. "Schon merkwürdig, wie bedenkenlos die Stadt das Engagement der Hamburger Symphoniker einfach hinschmeißt", sagt Daniel Kühnel. "Ich wünsche denen Glück. Es ist ja toll, dass ihre Städtepartnerschaft da vielleicht nützlich sein kann. Aber eine Grundlage für ein neues Festival-Konzept ist das nicht."