Die Schriftstellerin Tina Uebel reist um die ganze Welt - und schreibt über die Lebensform Tourist und ihre hässliche Funktionskleidung.

Istanbul. Kaum eine Lebensform stellt eine derartige Zumutung für Auge und Geist dar und existiert so vollendet konträr zu allen darwinschen Parametern wie der Tourist. Die Rede ist nicht vom Reisegruppentouristen, der in geordneter Formierung hinter dem erhobenen Schirmchen/Stöckchen seines Guides hertrabt und dabei auch nicht viel bescheuerter aussieht, als er's zu Hause tut. Nein, die Rede ist selbstverständlich von uns Alternativtouristen. Unsere Individualität und Abgrenzung zum Reisegruppentouristen tragen wir durch größtmögliche Uniformierung zur Schau. Wir sehen alle gleich aus, und gleich meint: gleich dämlich.

Das mag Notwendigkeiten geschuldet sein, wird dadurch aber keineswegs schöner. In Cargohosen und solidem Schuhwerk, Expeditionsrucksäcke in Hinkelsteingröße auf dem Rücken, stiefeln wir an Prada-Läden und Lounge-Cafés vorbei, als wollten wir auf der Suche nach Colonel Kurtz den Mekong hochrudern. Gottlob bewege ich mich gerade in heißem Klima, sonst trügen wir auch noch alle Funktionsjacken.

Wir beugen uns dem Diktat würdeloser Pragmatik. Wir brauchen Hosentaschen, viele Hosentaschen, für all die Deppenaccessoires, die zu unserer Existenz gehören. Straßenkarten. Reiseführer, in 99 Prozent aller Fälle der "Lonely Planet". Wasserflasche. Wir haben immer eine Wasserflasche dabei, selbst während des Tauchkurses. Jeans sind keine Alternative - zu warm, mangelhaft betascht, nasse Jeans trocknen nie.

+++ Impressionen von unterwegs: Der Reise-Blog von Tina Uebel +++

Wir müssen uns dort auf der Farbskala bewegen, wo Schmuddel nicht gleich so auffällt. Einem Farbphobiker wie mir ist es zudem verwehrt, wenigstens mit dem Oberteil den Eindruck abzumildern, ich sei auf der Suche nach den Quellen des Nils. Schwarz, von mir favorisiert, ist zu warm. Grau, Oliv und Khaki, zu Hause oft und gern getragen, wirken unterwegs idiotisch.

Jedes muntere Müsterchen aber wird verdeckt von den halbmeterbreiten Rucksacktragesystemgurten. Wir haben zwei Rucksäcke, den Trekkingrucksack mit unseren Habseligkeiten und den in der Fachsprache sogenannten Day-Pack mit dem Tagesbedarf - Kamera, Wasserflasche, "Lonely Planet", Funktionsjacke. Beide sind unvermeidlich. Rollkoffer havarieren auf unebenem Boden, Reisetaschen stehen seitlich zu weit ab. Und wer je versucht hat, den Day-Pack durch eine Umhängetasche zu ersetzen, wird von seinen Reisezielen wenig mehr zu sehen bekommen als die örtliche Orthopädie.

Auf dem Weg zu und vom Bahnhof bzw. Flughafen verwandeln wir uns deswegen in die noch würdelosere Untergattung des Frontbeutlers. Da der Hinkelstein unseren Rücken okkupiert, müssen wir den Day-Pack wie einen Schwangerschaftsbauch vor uns hertragen. (Die unterste Form des Frontbeutlers ist übrigens die, die ihren Hinkelstein zwar schon deponiert hat, aber aus Angst vor Langfingern in Basargassen und öffentlichen Verkehrsmitteln freiwillig frontbeutelt. Vor diese Option gestellt, bevorzuge ich das Risiko eines Wertsachenverlustes und behalte meine kümmerliche Restwürde.)

Immerhin harmoniert unser Deppenoutfit vorzüglich mit dem jammervollen Gesamtauftritt. Der Segnungen eines kundigen Reiseleiters nicht teilhaftig, irren wir stumm und dumm über die Kontinente. Stets haben wir irgendein dringendes Bedürfnis, immer dieselben: Wir suchen Bahnhof/Bus/Hotel/Internetcafé/Geldwechsler/Bankomaten/einen Ort, an dem wir unseren Rucksack deponieren können. Wir müssen mal Pipi (die vielen Wasserflaschen). Wir haben Hunger. Wir haben keine Ahnung. Selten beherrschen wir in der Landessprache mehr als "Hallo", "Tschüs", "zu teuer"; nur den Satz "Darf ich hier mal Pipi machen", den können wir in 35 Sprachen. Trotz demütigenden Bemühens ecken wir in kultureller Unwissenheit überall an, weil wir uns nicht mit Kirchen und Schlössern begnügen können. Dann lächeln wir dümmlich, stammeln "Hallo" mit falscher Betonung, und weil wir auch alle Orte, die wir suchen, nicht aussprechen können, versteht man noch weniger, wohin wir wollen. Im Zweifel weist man den Weg zur Toilette oder dem Teppichladen von Alis Cousin.

Dass wir trotz unserer plakativen Lebensunfähigkeit nicht umgehend aussterben, liegt daran, dass wir in unserer unansehnlichen, hilflosen Erbarmungswürdigkeit dem hässlichsten Hund der Welt gleichen, einem bizarren Pinscher, dessen Bild unlängst durch die Presse ging. Wir sind so albern, doof und widernatürlich, man kann anscheinend nicht umhin, uns irgendwie putzig zu finden. Und so schlägt uns allerorts liebevolles Mitleid entgegen, eine uferlose Bereitschaft, uns zu helfen, zu begöschen, den Weg zu erklären; man wiese ja auch keinem Dodo die Tür.

Ich übrigens habe mich jahrzehntelang wenigstens dem klobigen Schuhwerk verweigert, in einem sinnlosen Akt des Aufbegehrens. Ich ging durch die Welt auf blutenden Füßen. Bis Sofia. Dort wurden die Schmerzen so groß, ich stand vor der Wahl, entweder auf Beinstümpfen in Shanghai anzukommen oder zu kapitulieren. Ich humpelte in den nächsten Schuhladen und erwarb das letzte mir noch fehlende Zubehör: Die Schwachmatensandale. Ihre Optik gemahnt an die Bereifung eines Sattelschleppers, aber, oh, wie lässt es sich wunderbar darin laufen! Mir war nicht bewusst, dass eine solch schmerzfreie Art der Fortbewegung dem Menschen überhaupt gegeben sein kann. Federnden Schrittes werde ich meinen Weg zum Bosporus nunmehr zu Fuß fortsetzen und mich in ebenjenem umgehend ertränken, um der unerträglichen ästhetischen Schmach ein Ende zu setzen.