Das Kreuz mit der Fahrt. Christoph Maria Herbsts grotesker Reiseroman “Traum von einem Schiff“ und ein desinteressierter Urlauber in Afrika.

Als "Das Boot"-Autor Lothar-Günther Buchheim 1979 mit der "RMS Queen Elizabeth II" den Atlantik überquerte, reiste er auf einem Dinosaurier. Damals war die Königin der Meere der letzte wahre Ozeanriese, Relikt der luxuriösesten Art der Fortbewegung. Wie üblich ließ der alte Nörgler aus Feldafing in seinem ein Jahr später veröffentlichten Logbuch-Roman "Der Luxusliner" kein gutes Haar an Britanniens Stolz: Pfannkuchen, die wie "jahrelang gebrauchte Fensterleder" schmeckten, verspeist von "Nerzgreisinnen, die um den Roulettetisch sitzen wie vor Alter räudige Hühner auf ihren Stangen." Ein Törn, so amüsant wie eine Reise über den mythologischen Fluss Styx ins Totenreich Hades.

30 Jahre später, drei Jahre nach Buchheims Tod, sind Kreuzfahrer kein Anachronismus mehr, sondern der Reisetrend schlechthin, da konnte der Kino-Hit "Titanic" nichts dran ändern. Es gibt Angebote für fast jeden Geldbeutel, sogar abstruse Mottofahrten für Metalfans und "Musikantenstadl"-Publikum.

Die Werften zwischen Papenburg und Saint-Nazaire spucken so viele Dickschiffe aus, dass den Reedereien schon die Namen ausgehen. Hießen die Dampfer von Cunard, White Star Line oder Hapag einst "Mauretania", "Olympic" oder "Kaiser Wilhelm der Große", so schifft sich der Reisende heute auf der "Aidablu" oder "Mein Schiff 2" ein.

Und da zwischen Wellnessoasen, Kapitäns-Dinner, Kasino-Tischen und Landausflügen viel Zeit für Muße ist, häufen sich Traumschiff-Romane und -Reiseberichte wie die Prospekte der maritimen Reiseveranstalter.

Dabei reicht der Reigen von seichtem PR-Kitsch wie Julia Manlys "Aida - Kreuzfahrt mit dem Kussmund in die kanarische Inselwelt" bis zum detailreichen soziologischen Essay "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich" von David Foster Wallace. Dessen biestiges Urteil, erstmals 1996 im "Harper's Magazine" veröffentlicht: "Höllenfahrt der Luxusklasse".

Da verwundert es auch nicht, dass Schauspieler, Grimme-Preisträger und "Stromberg"-Serienstar Christoph Maria Herbst im Dezember 2009 eine Einladung auf das ZDF-"Traumschiff" inklusive Gastrolle erst mal ablehnt: "Kannst du absagen. Die zahlen zu schlecht", faucht er seine Agentin an. Aber die Drehorte, insbesondere Bora Bora in Französisch-Polynesien, stimmen ihn dann doch um, auf der "schwimmenden Schwarzwaldklinik", der MS "Deutschland" (MS steht laut Herbst für "Mumienschlepper"), mitzufahren. Sein 208 Seiten kurzes Logbuch "Ein Traum von einem Schiff - Eine Art Roman" schrieb er zum Großteil noch in der Kabine.

Seit 1981 hält sich das "Traumschiff" ohne soziale oder dramaturgische Schieflage im Flachwasser der TV-Unterhaltung. Egal, was zwischen der Titelmelodie von James Last und dem abschließenden "Dinnermarsch" - ebenfalls von James Last - passiert, egal, wie die Schiffe oder der Kapitän heißen: Am Ende wird alles gut. Mit Wunderkerzen auf dem Dessert.

Herbsts "Traumschiff"-Dialoge, die ihm Serien-Produzent Wolfgang Rademann für seine Rolle aus der Discounter-Tüte reicht, sind schnell gelernt. Und da Beobachtungen der (fiktiven) "Konsonantenpromis" an Bord nicht so der "Brülla" sind, schreibt Herbst seinen Traum von einem Schiff aus Langeweile als Groteske auf.

Mit Durchfall, nicht schäumendem Shampoo beim Waschen der einzigen Unterhose und - tataa! - "Das Boot"-Anspielungen wird das banale Erlebte hässlich aufgehübscht. Seitenlange Begegnungen mit Pelikanen oder von Herbst ausgelöste Hotelbrände passieren nicht in der "Traumschiff"-Realität, sondern nur in TV-Dokus im Bordfernsehen und eigenen Fantasien. Schade.

Nach schweren Flatulenzen überlebt Herbst den finalen Wirbelsturm auf Bora Bora. Auch wenn der Sarkast mit Lust am Wortspiel gekonnt auf sich selbst zielt - einen "Brülla" hat er nicht an- und abgelegt. Zu viel (Alb-)Traum, zu wenig Schiff. Dabei sind Luxusliner laut Buchheim doch "Symbol für die absolute Absurdität." Dieses Potenzial des Themas hat Herbst verschenkt.

Christoph Maria Herbst: Ein Traum von einem Schiff. Scherz Verlag. 208 S., 14,95 Euro

Tino Lange

Langeweile ist gut. "Heinz Strunk in Afrika" als Urlauber des radikalen Nicht-Interesses

Langeweile ist gut, Langeweile ist gesund, Langeweile ist Urlaub. Sagt Heinz Strunk, Hamburger Humorist, Musiker, Schauspieler und Schriftsteller, der durchaus ein reisefreudiger Mensch ist, wie er in seinem neuen Buch kundtut. Aber eben einer mit ganz bestimmter Freizeit-Agenda. Sie beruht auf den Prinzipien des absoluten Müßiggangs. Es geht darum, sich durch konsequentes Nicht-Interesse an allen den Alltag durchbrechenden, neue Horizonte erschließenden Inspirationen und Unternehmungen in die Sphäre der Erholung zu begeben. Das ist nicht ungewöhnlich; dieser Urlaubstyp ist weithin sichtbar vertreten, man findet ihn am Ballermann und in Las Vegas. Sonnen, saufen, Blackjack.

Nicht alle überzeugten Ignoranten schreiben Bücher über ihr Reisen. Heinz Strunk hat genau dies getan. "Heinz Strunk in Afrika" heißt das Werk. Um ganz genau zu sein, sei das Reiseziel präzisiert: Geurlaubt wird in Kenia. Und zwar zusammen mit einem Reisebegleiter, den Strunk schlicht nur "C." nennt, es soll sich Gerüchten zufolge um den Wiener Kabarettisten Christoph Grissemann handeln. Gemeinsam warten die beiden teilzeitmisanthropischen und immereloquenten Europäer in Afrika auf - nichts.

Zu Hause, in der Heimat, wird Weihnachten gefeiert, bei Schnee und Kälte. Kontrastprogramm in Afrika: am Pool dösen, Cappuccino trinken und, im Falle Strunks, viel lieber noch dem Alkohol zusprechen (immer gleichzeitig Weißwein und Bier). Darum geht es den Urlaubern, die das Resort nur verlassen, um ihr Geld in abendlichen Zockerrunden am Spielautomaten zu verspielen.

Heinz Strunk, der Bestsellerautor ("Fleisch ist mein Gemüse"), ist bekanntlich einer der lustigsten Menschen des Planeten. Und so lesen sich die Beobachtungen (die anderen Touristen, das eigene deprimierende Leben, die körperlichen Gebrechen) geschmeidig wie immer, das zunächst aufregendste Erlebnis ist die Mofafahrt durch Mombasa: "Erstaunlich, in was für Abenteuer man verwickelt wird! Gestern hockt man depressiv am Pool, und heute wird man von topgeilen Szenetypen durch die Gegend karjohlt!" Lästereien über die üblen Mitmenschen am Pool, spöttische und latent rassistische Betrachtungen des Urlaubslandes: Die Kunstfigur Strunk zeigt sich oft von ihrer schlecht gelauntesten Seite und wandert wie immer, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, auf dem schmalen Grat, der guten von schlechtem Geschmack unterscheidet und Ernst von Unernst trennt. Überhaupt, die Sache mit der Trennscheide, ein großes Thema des schriftstellernden Humoristen - oder doch eher: humorigen Schriftstellers? Der Heinz Strunk, den wir in Afrika treffen, lässt uns bereitwillig an seinen Profilierungsbemühungen und Selbstzweifeln teilhaben. Er verspottet den "hohen Ton" der ernst zu nehmenden Literatur und zieht die Biografie des Rockschweins Lemmy Kilmister dem kunstvoll gestalteten Roman des Großschriftstellers Ian McEwan vor. Heinz Strunk hat bisweilen den unguten Ehrgeiz, mehr sein zu wollen, als er ist (wie viele); vielleicht ist das die Grundvoraussetzung seines Witzes.

So wirkt seine schnoddrige Abfuhr an den wohlfeil formulierenden Briten McEwan und dessen poetische Beschreibungen ("Da muss man erst mal drauf kommen") wie ein beleidigter und masochistischer Minderwertigkeitskomplex. Strunk beschimpft sich selbst: "Herr Strunk, das war sehr, sehr schlecht. Sie sind nichts weiter als ein elender Hobbyautor, aus Ersatzteilen in den Werkstätten von Kleinmeistern gefertigt. Schämen sollten Sie sich!"

Man kann es auch Selbstironie nennen, und man sollte sich, wie immer, an die Reflexionen des Lebenskenners Strunk halten. Sie sind so köstlich, idiosynkratisch, apodiktisch und gaga wie immer: "Auf höchstem Niveau wenig oder nichts zu sagen, das zeichnet das gute Gespräch aus." Oder, noch viel weiser: "Das Leben besteht aus der Summe der versagten Genüsse."

Big-Styler-Humor mit extrahohem Niveau.

Heinz Strunk: Heinz Strunk in Afrika. Rowohlt. 268 S., 13,95 Euro

Thomas Andre