Sie tun es gerade auf einem Bahnsteig oder am Flughafen? Ein Loblied auf Geduld und Muße des Hamburger Liedermachers Wolfgang Müller.
In der Zwischenzeit
Ich stand zwischen zwei Zigarettenzügen
in meiner eigenen Bahnhofshalle und alle
Gestalten um mich herum verwischt und stumm
blieben ohne zu denken in meinen Augen hängen
setzten sich ungefragt auf meine Netzhaut
und durchgeschaut
konnte ich nichts erkennen
und selbst mich selbst nicht mehr beim Namen nennen
Wenn Sehnsucht nur die Sucht ist sich zu sehnen
nach dem was man versäumt
was macht dann ein Traum den gerade keiner träumt
zurück oder allein gelassen mit nichts von sich übrig
zum anfassen oder loslassen
aber seltsam gewiss dass da mehr ist
mehr als man sehen kann
und mehr als man erzählen kann
Damit man daran nicht zerbricht
bleibt man ganz
betrachtet das Ganze etwas aus der Distanz
im Glauben man distanziert sich ja bloß
und plötzlich sind die Dinge ihre Seelen los
werden austauschbar
wie Bilder einer digitalen Kamera
wie Meinungszeitungsbuchstaben
jeden Tag neu sortiert
bei denen egal wofür sie stehen
man nicht versteht was passiert
Zuerst wird man schlauer doch genauer hingesehen
ist jede Information für sich und unter die Lupe genommen
nur gefrorene Zeit
die Beliebigkeit herausschreit
von der man ohnehin schon viel zu viel hat
doch man füttert sich weiter
obwohl man fast platzt
man platzt fast vor so viel Leergewicht
und ich weiß nicht
Was ist das für ein Ding das niemals satt ist
ganz egal was es verschlingt
und egal wie viel es frisst
es macht nur fett von innen
traurig und die Stimme
der man eigentlich lauscht rauscht wie das Meer
in einer Muschel auf dem Ohr
Und weil man ständig etwas vermisst
kommt man nie auf die Idee
dass dieses Etwas ein etwas weniger ist
etwas weniger Ich macht möglicherweise etwas her
was dann automatisch etwas mehr
von den anderen wär
Etwas weniger Ich macht immer mehr Licht
Alles was mich an mir stört
ist das was nicht zu mir gehört
Und manchmal bin ich mir so wenig vertraut
dass ich fürchte ich bin
aus diesen Dingen zusammengebaut
aus Ideen und Bildern die meine nicht sind
meine Netzhaut besetzt halten und mich blind
Und wenn man nicht viel fühlt
kann man nicht viel machen
fängt an das was noch da ist rund um die Uhr zu bewachen
fängt an Tabletten zu schlucken um einzuschlafen
und zwei Wecker zu stellen um aufzuwachen
Irrt stumm in sich rum
die Hände so voller Geschenke
dass die inneren Gelenke schmerzen
doch im Herzen blind
vergisst man dass innere Geschenke
nicht für den Besitzer sind
Und ich weiß dass du denkst
dass mich das nicht betrifft
aber du kennst mich nicht
Ich schlage dir ein Rad für einen Ratschlag ins Gesicht
der mich von hier nach da bringt
wo ich vielleicht nichts mehr besitze
aber dafür ich selbst bin
und wenn es diesen Ort gibt
bring mich hin oder gib mir bitte das Ticket
und mit etwas Glück
gebe ich dir irgendwann zurück
was immer es dich gekostet hat
vielleicht nur einen Ratschlag
Manchmal glaube ich
alles wird gut
und führe mich auf wie ein Geschirrtuch
das immer wieder denkt
es wird nie wieder nass
und das jedes Mal
bis zum nächsten Abwasch
Ich stand zwischen zwei Zigarettenzügen
in meiner eigenen Bahnhofshalle und alle
Gestalten um mich herum
verwischt und stumm
blieben ohne zu denken in meinen Augen hängen
setzten sich ungefragt auf meine Netzhaut
und durchgeschaut
konnte ich nichts erkennen
und selbst mich selbst nicht mehr
beim Namen nennen
Text und Musik: Wolfgang Müller, erschienen auf der CD "Gegen den Sinn"