Die Staatsbibliothek hat Hamburgs älteste Adressbücher frei zugänglich ins Netz gestellt. Eine kulturgeschichtliche Fundgrube ersten Ranges.

Hamburg. Im Jahr 1698 erschien unter dem Titel "Hamburgum literatum" ein Buch, in dem erstmals die wichtigen Persönlichkeiten der Stadt aufgelistet wurden: die Amsings und Anckelmanns, die Mollers und die Reimers. Kaufleute waren es vor allem, aber auch Pastoren, Juristen und Professoren. "Personen von Stand", wie das damals genannt wurde. Was so exklusiv begann, entwickelte sich im Lauf der Zeit zu einer wichtigen Datensammlung, die zunächst vor allem für die Kaufleute interessant war. Aber die Adressbücher, die mit wenigen Ausnahmen bis 1966 jährlich erschienen, wurden immer umfangreicher und gehaltvoller, listeten bald nicht mehr nur Namen und Adressen auf, sondern auch zahlreiche zusätzliche Informationen über Berufe und Eigentumsverhältnisse bis hin zu Bankverbindungen - eine kulturgeschichtliche Fundgrube ersten Ranges. Datenschutz war damals offenbar ebenso unbekannt wie die Angst vor Datenmissbrauch. So gab es keine Bedenken gegen diese frühe Variante von Google Street View, die ohne Bilder auskam, aber trotzdem mit einer Fülle von Informationen aufwartete.

Jetzt hat die Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky (Stabi) einen großen Teil der Hamburger und Altonaer Adressbücher digitalisiert, erschlossen und ins Netz gestellt, sodass man mit ein paar Klicks tief in die Alltagsgeschichte der Stadt und ihrer Bewohner eintauchen kann.

Wo wohnte etwa der Maler Philipp Otto Runge, dem die Kunsthalle gerade eine große Ausstellung widmet? Im "Hamburgischen Adress-Buch auf das Jahr 1806" ist dazu vermerkt: "Runge, Otto, Maler, Bohnenstraße 1, N". Die Straße gibt es nicht mehr, das N verweist aber auf das Nikolaikirchspiel. Runges Bruder Johann Daniel, der den Maler lebenslang unterstützt und gefördert hat, ist unter der "Firma von Hülsenbeck, Runge et. Comp" mit der Adresse Rödingsmarkt 49 verzeichnet. Heinrich Heine erscheint 1816 natürlich nicht als Dichter, sondern als "Heine, Henry, Wechselgeschäfte, in Banco Conto Aron Hirsch, grossen Bleichen N. 327". Was er in Hamburg wirklich getrieben hat, dass er nämlich weniger im Kontor als am Jungfernstieg gesessen hat, um den jungen Mädchen hinterherzuschauen, ist freilich nicht dem Adressbuch, sondern Heines Erzählung "Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski" zu entnehmen.

"Gustav Mahler ist hier leider nicht verzeichnet, der ist einfach zu oft umgezogen", meint Projektleiter Ulrich Hagenah, der dem Komponisten dann aber doch noch auf die Spur gekommen ist, allerdings nicht im Adressenverzeichnis, sondern in dem Abschnitt, in dem die "wichtigsten öffentlichen Anstalten, wissenschaftlichen Institute, Sammlungen, wohltätigen Stiftungen und Vereine" verzeichnet sind. Unter der Rubrik Stadttheater wird im Jahr 1892 als Musik-Direktor "Herr Gustav Mahler" genannt, wohnhaft im Hotel Royal, zumindest kurzzeitig. Vier Jahre lang haben die Mitarbeiter der Staatsbibliothek die Adressbücher gesichtet, viele davon auch vom Staatsarchiv und von 15 anderen Bibliotheken ausgeliehen, sie katalogisiert und eingescannt. Jetzt sind die Bände bis 1903 im Netz verfügbar, der Rest folgt im kommenden Jahr.

Anders als zum Beispiel in Wien war die Publikation der Adressbücher in Hamburg eine private Angelegenheit, ohne Beteiligung der Behörden, die ihrerseits jedoch gewiss davon profitierten. Nicht zuletzt die Kriminalpolizei wird die Adressbücher täglich genutzt haben, um verdächtige Personen aufzuspüren. Die Bände gehörten aber auch zur Ausstattung von Hotel-Rezeptionen, damit Hamburg-Besucher die Adressen von Firmen oder Privatpersonen finden konnten.

Der Aufwand, der notwendig war, um die Datensammlungen jeweils aktuell zu halten, dürfte enorm gewesen sein: Jeweils im Juli und August schickte der Verleger der "Hamburger Nachrichten" Hilfskräfte durch die Stadt, die von Straße zu Straße und Haus zu Haus gingen und die Bewohner befragten. Am Anfang gab es gelegentlich Ärger, weil ein solches Adressenverzeichnis zwangsläufig sozial nivellierend ist. So fanden es vornehme Kaufleute nicht witzig, sich zwischen Schuhmachern und Schlachtern wiederzufinden, ändern konnten sie es nicht.

"Spätestens seit dem 19. Jahrhundert hatten die Adressbücher drei Funktionen: Sie dokumentierten die Einwohnerschaft der Stadt, dienten wirtschaftlichen Interessen, da die Berufe und Geschäftsfelder mit angegeben waren, und sie boten auch Fremden wichtige Informationen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass es stets einen umfangreichen Teil mit Angaben zu öffentlichen Einrichtungen gab", sagt Hagenah und zeigt schmunzelnd einen Eintrag über die Stadtbibliothek im Johanneum, die heutige Stabi. Im Adressbuch von 1791 ist dazu unter der Rubrik "Hiesige Sehenswürdigkeiten" Folgendes zu lesen: "Man darf keine Hunde mitbringen; keine Bücher eigenmächtig von ihrer Stelle nehmen u.s.w. Beym Weggehen gibt man dem Custos der Bibliothek ein Trinkgeld."

Mit der stark zunehmenden Verbreitung der privaten Telefonanschlüsse übernahmen nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach Telefonbücher die Funktion der traditionellen Adressbücher. Das letzte Hamburger Adressbuch erschien in Hamburg 1966. "Das Interessante an den Adressbüchern ist die Fülle von Informationen nicht nur zu Personen und Firmen, sondern auch zu Straßen, deren Verlauf manchmal sogar skizziert wird. Aus den Adressbüchern lässt sich daher die Sozialstruktur ganzer Straßenzüge und deren allmählicher Wandel ablesen. So etwas leistet kein Telefonbuch", sagt Ulrich Hagenah, der überzeugt davon ist, dass die jetzt digital zugänglichen Hamburger Adressbücher auch künftig noch viele spannende Entdeckungen ermöglichen werden.

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