Als wäre die Bühne eine Hüpfburg - Fettes Brot braucht in der ausverkauften O2 World keine Aufwärmphase. Die Fans sind voller Euphorie.

Hamburg. In der Schlange am Biertresen in der O2 World steht ein nicht mehr ganz junger Mann mit einer Jacke, auf der das Wu-Tang-Logo prangt. Ach ja, hier läuft ja heute Hip-Hop. Baseball-Kappen und tief sitzende Baggy-Pants sind allerdings beim Fettes-Brot-Konzert so gut wie gar nicht zu sehen - sonst untrügliche Insignien eines Hip-Hop-Konzerts. Das Trio aus der ehemals innovativen Hamburger Rap-Szene ist längst im Mainstream angekommen, seine Fans, die 1999 und 2000 bei den legendären Flash-Festivals im Stadtpark und im St.-Pauli-Stadion dabei waren, gehen schnurstracks auf die 30 zu und kleiden sich heute unauffällig normal. Doch wenn man den Auftritt von 2010 mit dem von 1999 vergleicht, hat sich im Grunde nicht viel verändert.

Zwar ist Fettes Brot inzwischen mit siebenköpfiger Band statt wie früher nur mit einem DJ unterwegs, doch der Groove ist der Gleiche geblieben. Wenn es jetzt funky wird, setzen die drei Bläser die Akzente und treiben den Rhythmus voran. Als auf der Videoleinwand auf Plattdeutsch "een, twee, dree" angezählt wird, weiß jeder der 12 000 in der seit Wochen ausverkauften Arena, was die Stunde geschlagen hat. Gleich geht es mit einer Hymne los, der Hymne: "Nordisch By Nature", immer noch größter Hit des Trios, eröffnet den Abend. König Boris, Doktor Renz und Schiffmeister haben sich für den Opener mitten hinein in die Fanmassen begeben und zeigen Publikumsnähe, als sie auf Plattdeutsch losrappen. Suchscheinwerfer fangen jeden der drei ein und geleiten ihn in Richtung Bühne. Dramaturgisch ein kluger Schachzug, einer Aufwärmphase bedarf es weder bei den Musikern noch beim Publikum, die Party läuft nach einer Minute bereits auf Hochtouren.

Mit "Bettina, zieh dir bitte etwas an" und einem Viagra-Logo auf der Leinwand geht die Tour de Force weiter. Stillhalten können diese drei Entertainer nicht, wie aufgezogen hopsen sie herum, als wäre die Bühne eine Hüpfburg, König Boris sicher mit Schmerzen im Sprunggelenk, denn er ist am Abend vorher in Kiel umgeknickt. Aber das, was bei den Fans an Glückshormonen freigesetzt wird, entspricht dem Adrenalinspiegel der drei Hip-Hop-Künstler. Angesichts von so viel Euphorie ist der Fußschmerz schnell vergessen.

Konzerte mit Fettes Brot haben immer etwas von einem Kindergeburtstag. Das war früher so, und das hat sich bis heute nicht geändert. Das Publikum wird zu Mitmachspielchen aufgefordert, es bekommt Fragen gestellt, deren Antwort immer "Fettes Brot" lautet, es muss die langsamste und die schnellste La-Ola-Welle über die Ränge laufen lassen, auf Befehl hüpfen oder die Arme schwingen. "Jetzt auch an die Coolen: Schämt euch nicht und macht mit", fordert Schiffmeister diejenigen auf, denen diese Animationen zu peinlich sind. Doch nirgendwo in der Halle scheint es irgendjemanden zu geben, der nicht bereitwillig jedem Kommando folgen würde. Selbst im entlegenen Oberrang hält es niemanden auf den Sitzen. Der Abend wird so zum Mitmach-Theater und kollektivem Chorsingen des sehr textsicheren Auditoriums.

Hits hat das im Landkreis Pinneberg gegründete Trio im Dutzend, Durchhänger gibt es in der Zwei-Stunden-Show nicht: "Jein", The Grosser", und "Emanuela" gehören genauso zum Repertoire wie "Da draußen", "Schieb es auf die Brote" oder "Erdbeben". Bei "Schwule Mädchen", dem letzten Song des Konzerts, ziehen die drei Rapper die Ausflippschraube noch mal an und bringen ihre Fans endgültig zur kollektiven Raserei.

Der Vorhang fällt, aber die Party ist noch lange nicht vorbei. Eine riesige Disco-Kugel senkt sich von der Hallendecke, und DJ-Pauly legt Tanzklassiker der vergangenen 30 Jahre auf. Die Aftershow-Party beginnt, Schiffmeister schenkt Sekt aus und verteilt es an die vorderen Reihen, später singt das Trio noch mal "Nordisch By Nature" in einer schlichten Version, auf der Bühne, im Saal und auf den Rängen wird noch stundenlang weitergefeiert und mitgesungen. Ü-30-Party-Feeling allerorten. Zu Abba, Dr. Alban und Snap. Die Stil-Polizei hat an diesem Abend frei, und der Mann mit der Wu-Tang-Jacke ist in diesem Moment bestimmt schon auf dem Heimweg.