Der neue “Focus“-Chefredakteur, Wolfram Weimar, will das Magazin zu einem konservativen “Spiegel“ machen.

Hamburg. Es wäre wohl übertrieben zu behaupten, für "Focus"-Chefredakteur Wolfram Weimer liefe gerade alles wie am Schnürchen. Im Herbst verkauften gleich drei Ausgaben seines Nachrichtenmagazins hintereinander am Kiosk weniger als 100 000 Exemplare. Weder der Vorabdruck eines Buches von Watergate-Enthüller Bob Woodward über den US-Präsidenten ("Obamas wilde Welt") noch ein Porträt des Chefs der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet ("Dieser Mann riskiert Ihr Geld") waren Titelgeschichten, die bei den Lesern ankamen. Die Ausgabe, die mit der Nachlassregelung des Porsche-Patriarchen Ferdinand Piëch aufmachte, verzeichnete mit nur 86 102 Exemplaren gar den bislang schwächsten Kioskverkauf des zu Ende gehenden Jahres.

Auch die vor knapp zwei Wochen erschienene Ausgabe mit dem Papst auf dem Titel ("Das Interview - Welt-Exklusiv"), die Passagen eines als Buch erscheinenden Interviews mit Benedikt XVI. enthält, verkaufte sich laut Weimer eher schlecht. Und nicht nur das: Die Stelle des Gesprächs, in der sich der Papst für eine Lockerung des Kondomverbots ausspricht, ist im "Focus" nicht nachzulesen. Sie war dem Nachrichtenmagazin offenbar nicht zum Vorabdruck angeboten worden. Zwar lag der Redaktion das komplette Buch vor. Sie musste die Kondom-Passage also kennen. Warum sie nicht wenigstens in einem Beistellstück thematisiert wurde, mag Weimer nicht sagen.

Andererseits wirkt dieser Chefredakteur nicht wie einer, der ein moribundes Blatt führen muss. Er lacht viel und ist von ausgesuchter Freundlichkeit. Dass die von ihm verantworteten Hefte den Kioskverkäufern nicht aus den Händen gerissen werden, ist für ihn einstweilen kein Problem. Weimer will nicht an diesem, sondern am nächsten Jahr gemessen werden: "2009 war der Einbruch, 2010 ist der Umbruch und 2011 kommt der Aufbruch."

Tatsächlich geriet "Focus" unter seinem Gründer Helmut Markwort in eine schwere Krise. Im dritten und vierten Quartal 2009 brachen im Vergleich zum Vorjahr jeweils 22 Prozent der verkauften Auflage weg. Markwort hatte das Blatt jahrelang nicht modernisiert. Da kam die Quittung.

Weimer zog am 1. Juli 2010 in die Chefredaktion ein. Man kann ihm zugutehalten, dass er die Auflagenerosion des "Focus" verlangsamt hat. Im dritten Quartal 2010 lag der Auflagenrückgang bei nur noch 9,3 Prozent. Diese Marke dürfte er im vierten Quartal leicht verbessern.

Wie aber will er 2011 den Aufbruch bewerkstelligen? "Wir wollen mit dem ,Spiegel' wieder um die Deutungshoheit am Montag ringen", sagt Weimer. Das Blatt, das einst die 100 besten Ärzte und Anwälte abfeierte, will nun von Nutzwert nichts mehr wissen. "Focus" will sich harten Themen aus Wirtschaft und Politik verschreiben. Auch deshalb hat der Chefredakteur ein Ressort für investigative Recherchen gegründet. Vom neuen "Focus" soll ab 18. Januar eine Werbekampagne künden. Dann wird das Blatt 18, also volljährig.

Der "Focus" soll also etwas wie ein konservativer "Spiegel" werden. "Es gibt viele, denen eine bürgerliche Stimme fehlt", sagt Weimer. Der "Spiegel" sei nämlich nach links gerückt. Unter Chefredakteur Stefan Aust habe das Blatt die damalige rot-grüne Bundesregierung attackiert, sich für eine neoliberale Wirtschaftspolitik starkgemacht sowie ökologische Themen weitgehend ignoriert. Und als der damalige Feuilleton-Chef Matthias Matussek sein Coming-out als Katholik hatte, sei im "Spiegel" sogar gebetet worden. All das wäre heute nicht mehr möglich.

Das ist richtig, aber dennoch nur die halbe Wahrheit. Der "Spiegel" leistet sich auch heute noch konservative Schreiber. Überhaupt ist allerorten eine Vermischung zu beobachten. Gibt es eine Nachfrage für Blätter, die sich an den Fronten von gestern orientieren? Weimer weiß, dass sein neuer Kurs eine Gratwanderung ist. Deshalb setzt er nicht nur auf dezidiert konservative Positionen, sondern auch auf ästhetisierte Fotos. Mit der Inszenierung der "Kult-Mutti" ("Focus") Ursula von der Leyen als Herrenreiterin in Ausgabe 43/10 hatte das Blatt einen echten Hingucker.

Zudem arbeitet Weimer an neuen "Focus"-Ablegern: Am Montag erscheint mit "Die Welt 2011" ein Jahresvorschauheft, das die Münchner zusammen mit dem britischen "Economist" produzierten. Im Frühjahr könnte mit einem deutschen "Intelligent Life" ein weiterer Titel aus dem Hause "Economist" erscheinen. Zudem bastelt Weimer an "Focus Picture", vergleichbar mit "View", dem Fotoheft des "Sterns".

Derweil landete der Wettbewerber "Spiegel" mit seiner Ausgabe über die jüngsten Enthüllungen von WikiLeaks einen Riesenscoop. Weimer hält den Abdruck der WikiLeaks-Dokumente für problematisch. Allerdings: Wären sie ihm angeboten worden, hätte er sie auch gebracht.