Wie chinesische Blogger dem Regime ein Schnippchen schlagen

Peking. Pekings Mikroblogger gingen früh ans Werk. "Guten Morgen Xiaobo, guten Morgen Nobelpreis", zwitscherten sie mit ihren Kurzbotschaften auf öffentlich erreichbaren Foren, die als Ersatz des in China verbotenen Twitter geschaffen wurden. Sie gratulierten dem in Chinas Haft sitzenden Nobelpreisträger Liu Xiaobo zu seinem großen Tag in Oslo.

Besonders rege ging es auf dem Mikroblog "Twitese" zu, der einst von dem Konzeptkünstler Ai Weiwei ins Leben gerufen wurde. Einer der Blogger riet listig, wie der David des Internets dem chinesischen Großzensor Goliath ein Schnippchen schlagen könnte. "Verbreitet dieses Foto in Windeseile als euer Logo", twitterte er und gab den Link zum Bild des leeren Stuhls an, der für Liu Xiaobo in Oslo aufgestellt wurde. "Stellt ihn überall auf. Heute ist das der wichtigste Stuhl der Welt."

Kaum eine halbe Stunde später wanderte das neue Symbol durchs Internet. China würde als erstes Land der Welt in die Geschichte eingehen, in dem es künftig tabu und strafbar ist, "leerer Stuhl" zu sagen, witzelte ein Blogger. Die offiziellen Webportale durften sich Spott nicht leisten. Sie wurden scharf kontrolliert. "Jedes kritische Wort wird wegharmonisiert. Das ist schlimmer als bei den Olympischen Spielen 2008", schrieb ein Blogger. Auch die in China empfangbaren TV-Nachrichtensender CNN oder BBC wurden von Zensoren geschwärzt. Ab Freitagmittag wurden beide Sender ganz ausgeblendet.

Pekings Regierung begnügt sich nicht mehr nur mit polemischen Schmähungen. Sie geht im Inland verschärft gegen alle Liu-Unterstützer vor. Schon am Donnerstag wurde der Verfassungsrechtler Zhang Zuhua, ein Vertrauter Liu Xiaobos und Mitautor der "Charta 08", auf offener Straße in der Nähe seiner Wohnung von Polizisten verschleppt. Die Menschenrechtsorganisation Chinese Human Rights Defenders (CHRD) zählte Dutzende Fälle von Festnahmen, Verbannungen, Ausreiseverboten, Verhängungen von Hausarresten ohne richterliche Zustimmung auf.

Auch die Pekinger Vertretung der EU bekam die gespannte Atmosphäre zu spüren. Die Botschaft hatte am Donnerstag zu einem lange vorbereiteten Seminar über das Thema "Rechtsstaatlichkeit" 50 Juristen, Forscher, Anwälte und NGO-Vertreter eingeladen. Vier Fünftel von ihnen durften nicht kommen. EU-Botschafter Serge Abou sprach von einer "Schande". Ein Blogger gab die Antwort auf die Frage, warum der Stuhl in Oslo leer geblieben sei: "Weil das chinesische Volk aufgestanden ist."