Keine Radioansage ohne Schlittengebimmel, dazu noch ein Weihnachtsjingle: Wenn die besinnliche Zeit zur akustischen Zerreißprobe wird.

Hamburg. Ob dieses Thema wirklich an die große Glocke gehört? Nein, die soll unbehelligt im Dachstuhl des Kirchturms hängen bleiben und zuverlässig die Stunden schlagen. Das ganze Jahr über, nicht nur zur Weihnachtszeit. Wir reden hier von Glocken, die sich dieser Tage allüberall so anheimelnd in unsere Gehörgänge bimmeln.

Sie sind klein und mobil, ihr Klingeling läutet jetzt vor Weihnachten aus allerlei Liedern heraus - und jede Menge Moderationen im privaten Formatradio. Keine Ansage ohne Schlittengebimmel im Hintergrund, und so oft es geht dazu noch ein Weihnachtsjingle. War es das wirklich, was der Dichter des deutschen Weihnachtslieds im Ohr und im Sinn hatte, als er einst die Zeile "Süßer die Glocken nie klingen" niederschrieb?

Wie alles, was die Sinne ohne Unterlass reizt, bewirkt auch der süßeste Klang bald Übersättigung im Nervensystem. Der jahresendzeitliche Glöckchenalarm gehört zu den Mysterien saisonaler Angesagtheit im akustischen Großstadt-Environment. Wie ihre große Schwester im Kirchturm läutet auch die Mobilglocke, um den Hals der Kuh gebunden, das ganze Jahr über. Allerdings tut sie dies in idyllischer Abgeschiedenheit, auf der Alm. Dort dient sie den Tieren und ihren Hütern zur Orientierung, vielleicht auch zur Kommunikation - wer weiß schon, was für geheime Glockenbotschaften das Rindvieh so austauscht.

In der Anzugträgerwelt finden Glocken hauptsächlich als Instrument des Zur-Ordnung-Rufens Verwendung, im Rathaus, im Länderparlament, im Bundestag. Aber Glocken in ihrer niedlichsten Form erklingen in der Stadt eben immer nur zu Weihnachten. Kirchengeläut ruft die Katholiken zur Christmette und die Protestanten zum Weihnachtsgottesdienst. Die Glöckchen, die wir meinen und die uns nerven, sind näher bei Ochs und Eselein als beim Christkind. Tierglocken sind es, denen wir die permanente Bimmelberieselung zu verdanken haben. Schellen werden sie auch genannt, und wenn sie an Fahrzeugen montiert sind, die die Tiere durch den weihnachtlichen Schnee ziehen, heißen sie Schlittenschellen.

Unser Weihnachtsmann kommt bekanntlich aus dem hohen Norden. Amerikanischer Überlieferung zufolge tritt er seine alljährliche Reise mit einem Schlitten an, den bis zu zwölf Rentiere ziehen. Ein jedes von ihnen trägt dabei mindestens ein Glöckchen. Allerdings chauffieren die Rentiere Santa Claus über den Himmel, was man sich einst bestimmt als weitgehend erschütterungs- und gegenverkehrsfreie Tour vorgestellt hat. Damals können die Schlittenschellen also nur bei Turbulenzen und Luftlöchern in leichtes Zittern geraten sein. Bei der Luftverkehrsdichte heute ist es kein Wunder, dass auch von Weihnachtsmanns himmlischem Ren(n)-Bob deutlich mehr akustische Emissionen ausgehen als früher. In Ballungsräumen produziert er nun ungefähr so viel Geklingel wie selige Radfahrer an autofreien Sonntagen auf der Autobahn.

Ist die Schlittenschelle ein Musikinstrument? Wir müssen diese Frage kulturgeschichtlich und fachlich mit einem, ältere Leser werden sich erinnern, Robert Lembkeschen Jein beantworten. Man kann für wenig Geld Schlittenschellen im Musikalienhandel erwerben, aber ihr Einsatz bei der Weihnachtsliedbegleitung ist ähnlich fragwürdig wie der des Tamburins in der Popmusik. Ein amerikanisches Versandhaus verkauft schwere, mit Glocken unterschiedlicher Größe benähte Ledergürtel, mit deren Hilfe sich nicht nur Rentiers in weihnachtlich bimmelnde Rentiere verwandeln können. Sieht würdig aus. Und macht mehr her als das einsame Glöckchen, das zur Bescherung läutet.

Im Sommer tuteten uns die Vuvuzelas fast um den Verstand. Vielleicht war das nur der Anfang, und bald hat jeder Monat, jedes Fest sein eigenes akustisches Signet. Völker, hört die Signale aus noch ungekannten Schallquellen. Immerhin, Osterglocken halten still.