Mit der Ausstellung “Die Puppenstube“ erzählt die 80 Jahre alte Puppenmacherin auch die Geschichte des Gängeviertels.

Hamburg. Sie blickt sich um in den neuen Räumen des Valentinskamp 34, die mit den niedrigen Decken und den maroden Stützpfeilern, die selbst so aussehen, wie die Räume eines urigen Puppenhauses. Am Fenster stand ihr Arbeitsplatz, wo sie detailverliebt ihre Puppen herstellte. Kunstobjekte seien das, kein Spielzeug. Das ist ihr wichtig.

"Früher bin ich diese Treppen jeden Tag rauf und runter gerannt", sagt Brigitte Lohrmann, 80 Jahre alt. 30 von ihnen hat sie als Puppenmacherin im Gängeviertel gearbeitet, dann musste sie raus, die Mieten waren zu hoch. Fast zehn Jahre ist das jetzt her. "Jetzt komme ich nicht mehr gern hierher, zu viele Erinnerungen." Ihre Stimme klingt fest, nicht zittrig. Denn von diesem Sonntag an muss sie sich nicht mehr alleine erinnern - gemeinsam mit der Geschichtswerkstatt des Gängeviertels bringt sie mit einer umfassenden Ausstellung das Leben der alten "Puppenstube" zurück.

Noch ist es allerdings nicht so weit. Noch sitzt Brigitte Lohrmann auf einem roten Samtsessel in der kalten Puppenstube, eingepackt in Mantel und dunkler Wollmütze. Sie schaut abwechselnd aus dem Fenster auf den verschneiten Hinterhof des Viertels und in die Räume, in denen sie mit ihrem Partner Henry Römling an ihrem Traum arbeitete: "Wenn ich daran denke wie er geschuftet hat, obwohl er schon so schwer krank war", sagt sie, und man merkt, wie ihr die Zeit fehlt, in der "Henry die schicke Schrift für die Puppenstube gemacht hat". Und den riesigen Spiegel anbrachte, damit sie vom Obergeschoss heruntergucken konnte. Sie sammelte die Puppen, er sammelte die Puppenöfen, zusammen teilten sie bis zu seinem Tod ihre Leidenschaft.

Von damals erzählt sie gerne. Von einem Viertel voller Leben und Geschäften, von wilden Künstlerpartys, deren Überbleibsel morgens in den Vorgärten lagen - leere Flaschen, wie die Künstlerin erzählt, gehörten da zu den angenehmeren Funden.

"Von meinem Fenster aus konnte ich beim Arbeiten einer Tänzerin zuschauen, einer nette alte Dame. Und ich dachte mir: Wenn die es hier aushält, dann hältst du es auch aus."

Während ihr Mann als einer der letzten Gürtler der Stadt arbeitete und nebenbei die Einrichtung des Ladens übernahm, fertigte sie ihre Puppen an. Doch zwei Jahre lang kam kein Kunde, erst nach einer Ausstellung in den zwölf Meter langen Schaufenstern einer Bank zur Weihnachtszeit brachte den Durchbruch. Die ersten Kunden waren vor allem junge Frauen, die sich für Porzellanpuppen und Miniaturen interessierten und vereinzelte Herren, die beschämt Geschenke für ihre Frauen suchten. "Damals war es ja kindisch Puppen zu sammeln." Dass das Puppenherstellen in Deutschland in den 70er- und vor allem 80er-Jahren eine Renaissance erlebte, daran ist auch Brigitte Lohrmann beteiligt: Ihre Puppenstube, sagt sie stolz, war Deutschlands erster Spezialpuppenladen.

Sie hält nicht viel vom Umgang Hamburgs mit seinem kulturellen Erbe und möchte die Künstler im Gängeviertel mit ihrer Ausstellung unterstützen. "Es war so lebendig und bunt geschmückt, es waren so viele goldige junge Leute da - ich dachte, da muss ich mitmachen." In der Ausstellung zeigt sie Puppen aus ihrer Sammlung und solche, die sie selbst hergestellt hat. Denn mit Künstler-Puppen ist es ja so: Sie werden in mühevoller Handarbeit hergestellt, mit Leidenschaft feilt der Künstler an ihrer Mimik, an ihrer individuellen Ausstrahlung.

Das muss man nicht mögen - aber respektieren sollte man es. Vor allem, wenn man daneben die Barbies sieht, perfektionierte Massenware aus Plastik, aller Makel und allen interessanten Ecken beraubt. Auch Hamburg soll keine Barbie werden, und gäbe es das Gängeviertel nicht, hätte diese Stadt deutlich weniger Ecken und Kanten. "Barbie zeigt tolle Mode, aber geliebt hab ich sie nicht", sagt Frau Lohrmann.

Stattdessen verkaufte sie Puppen, die ein kleines Kunstwerk waren. Manchmal wurde das Geld knapp, oft wurde sie belächelt. "Aber da braucht man nicht viel Kraft zu, da reicht es einfach die Freude zu genießen, wenn man sich seine Träume erfüllt." Es ist der Geist, der auch durch das Gängeviertel weht. Dass beide wieder zueinander gefunden haben, darf man wohl einen Glücksfall nennen.

Nach dem Gespräch über ihre Vergangenheit und einer langen Fotosession ist die 80-jährige Frau erschöpft. "Jetzt haben wir aber auch viel geredet", sagt sie mit einem Blick, aus dem man viel lesen kann. Etwa, wie schmerzlich und schön zugleich die Erinnerungen an ihre Puppenstube sind. Genau deswegen sind sie so wichtig.