Warum der 29-jährige Thorsten Hierse, der in Campus' “Die Gerechten“ eine Glanzrolle spielt, ein würdiger Boy-Gobert-Preisträger ist.

Hamburg. Janek ist Idealist. Er kämpft für die gute Sache, landet im Gefängnis und wartet mit der Zähigkeit eines Mannes, der seiner eigenen Sensibilität kaum entrinnen kann, auf den Tod. Thorsten Hierse spielt, nein, er ist dieser Janek. So klar und konzentriert, dass er die Zuschauer sprachlos zurücklässt. Der analytische Attentäter in Camus' "Die Gerechten" ist eine Glanzrolle für den derzeitigen Star des Ensembles vom Jungen Schauspielhaus. Der Schauspieler, ein Schmalhans mit sanftem Blick unterm Dunkelhaarschopf, legt mit Vorliebe die tiefsten Schichten seiner Figuren frei, was für seine 29 Jahre erstaunlich ist. Hierse ist ein Attentäter des Geistes und des Gefühls.

Diese Qualität zeichnet ihn als würdigen Preisträger des mit 10 000 Euro von der Körber-Stiftung ausgelobten Boy-Gobert-Preises für den besten Nachwuchsschauspieler an Hamburger Bühnen aus. "Ich freue mich sehr", sagt Thorsten Hierse. "Ich bin aber nicht zwangsläufig der Beste. Ich hatte einfach das Glück, einige tolle Rollen in dieser Spielzeit übernehmen zu können." Das ist fast zuviel der Bescheidenheit.

Hierse glänzte in der Camus-Adaption "Caligula" als expressiv-wahnsinniger Tyrann genauso wie in John Steinbecks Freundesdrama "Von Mäusen und Menschen" als grundguter Kerl. In beiden Fällen hieß sein Regisseur Alexander Riemenschneider, der Camus-Abend war dessen gefeiertes Diplom. Es scheint, als hätten sich hier ganz früh ein Schauspieler und sein Regisseur gefunden. "Wir haben eine glückliche Verbindung", sagt Thorsten Hierse. "Riemenschneider ist streng im Denken und geht ein Stück vom Inhalt an. Er startet nicht mit einem vorgefertigten Konzept, trifft spät in der Arbeit die Entscheidungen, wie es auszusehen hat. Das führt zu einer großen Mündigkeit." Und die scheint dem jungen Mann zu liegen.

Entgegen kommt Hierse Riemenschneiders Vorliebe für Autoren, die "größer sind, als man selbst". Er hat schon einige Rollen hinter sich, von denen mancher Schauspieler träumt, sie überhaupt einmal in seinem Leben auszufüllen. "Es weitet und fordert einen, wenn man sich an Gedanken erst einmal abarbeiten muss", sagt Hierse. Am Jungen Schauspielhaus, dessen Ensemble er seit der Spielzeit 2009/2010 angehört, hat er schon Shakespeares "Hamlet" gespielt.

Bei Regisseur Klaus Schumacher ist der Klassiker ganz auf das Familiendrama zugespitzt. "Mein Hamlet war ein tätiger, kein zaudernder." Gerne mal verlassen Hierses Figuren den Kanon des Standards. Weil er sie in der Tiefe auslotet, wirken sie glaubwürdig. So einer kann (fast) alles ungeschoren ausprobieren.

Dabei fand Thorsten Hierse, als Sohn eines Lehrers und einer Apothekerin im niedersächsischen Gehrden aufgewachsen, eher zufällig zur Schauspielerei. Als in der Schultheatergruppe ein Jongleur ausfiel, sprang Hierse ein. "Da habe ich Theaterblut geleckt." Auf das halbherzige Studium der Germanistik und Philosophie in Göttingen folgte die Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Auf kleinere Produktionen folgten bald größere. "Bei einem gelungenen Theaterabend geschieht ein energetischer Austausch auf der Bühne, wo man sagt: mehr davon!", erzählt Hierse. "Dafür zu kämpfen, wahrhaftig zu sein ist sehr reizvoll für mich am Theater."

Zu Hierses frühen Erfahrungen zählt eine Begegnung mit dem 2009 verstorbenen Regisseur Jürgen Gosch. Hierse hatte in den "Drei Schwestern" nur eine kleine Rolle. Zwölf Stunden saß er hinten auf der Bühne und wartete auf seinen Moment, um einen einzigen Satz zu sagen. "Ich konnte beobachten, wie er arbeitet. Er hat die Schauspieler an die Grenzen des Erträglichen geführt. Nichts durchgehen lassen", sagt Hierse. "Es herrschte eine große Freiheit bei gleichzeitig großer Konzentration auf der Bühne."

Am Freitag wird Thorsten Hierse den Preis aus den Händen der frühen Preisträgerin Susanne Lothar bei einer großen Feierstunde im Thalia-Theater entgegennehmen. Hier stand er schon als "Oliver Twist" auf der Bühne. "Die nächste Rolle ist immer die wichtigste", sagt er. Es lohnt sich zu beobachten, wohin ihn das noch führt. Auf jeden Fall nach oben. Ab der kommenden Spielzeit wechselt Hierse an das Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin.

Boy-Gobert-Preis Verleihung beim Jubiläum "Max, du gibst die andere Million! 50 Jahre Thalia nach dem Wiederaufbau" Fr 3.12., 20.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor, Karten 25,- bis 100,-; T. 32 81 44 44 oder www.thalia-theater.de