Der Pianist Francesco Tristano lässt Klassik und Techno fusionieren

Hamburg. Eigentlich kann man die Liebhaber des einen prima mit dem anderen jagen. Wenn Klassikfans Techno hören, verdrehen sie die Augen, stopfen sich beide Zeigefinger in die Ohren und rennen so schnell wie möglich außer Hörweite der Lautsprecher. In Sicherheit sind sie erst nach vielen Schritten, denn das Wummern von Techno geht bekanntlich in die Magengrube und massiert auch alle anderen Innereien. Technofans wiederum brauchen diesen Kick. Sie wollen den bösen Bass und das zuverlässige, sture Ummz-ummz-ummz-da-ummz-ummz-ummz-da-ummz-ummz-ummz der Rhythmusmaschine. Klassik? Öde. Da fehlt der klare Beat, das ist oft schwülstig. Weg mit dem Zeug.

Insgeheim aber finden immer häufiger konspirative Annäherungen statt. Es wurden schon ausübende Klassiker der jüngeren Generation in Diskotheken gesichtet, die sich zu den ach so vermaledeiten Dumpf-Beats in Trance tanzten. Und die meisten Technohörer sind inzwischen in die Jahre gekommen, sie sehnen sich nach neuen Farben, neuen Texturen. Vielleicht sogar nach einer Versöhnung mit der einst als so uncool empfundenen Musik, die bei den Eltern zu Hause lief und der man erst mit Punk und später dann Techno entfloh.

Und nun kommt da plötzlich ein apollinisch schöner Mann daher und will uns weismachen, die beiden, Techno und Klassik, seien zwei Königskinder, die nichts dringender wünschten, als zueinanderzukommen. Und er kann machen, dass sie's schaffen. Denn in ihm selbst sind sie schon lange ein Herz und eine Seele.

Francesco Tristano heißt dieser Hoffnungsträger einer Klassikszene, die nach Neuem giert, vor allem: nach Futter fürs junge Publikum. Der 1981 in Luxemburg geborene Pianist mit vorzüglicher Klassikausbildung an der Juilliard School of Music in New York ist in dieser Saison "Artist in Residence" der Hamburger Symphoniker. Nachdem er mit dem brutal schweren Klavierpart in "Des Canyons aux Étoiles" von Olivier Messiaen im unkonventionellen Eröffnungskonzert der Symphoniker vergangenen September seinen Einstand gab, darf Tristano jetzt an diesem Sonntag im kleinen Saal der Laeiszhalle ein eigenes Werk zur "Live-Welturaufführung" bringen.

Sein "Auricle / Bio / On" ist ein aus zwei knapp halbstündigen Teilen bestehender Symbioseversuch zwischen akustischen Klavierklängen und elektronischer Bearbeitung. Tristanos Compagnon an der Live-Elektronik ist Moritz von Oswald, in grauer Vorzeit mal Schlagzeuger bei der wegweisenden deutschen Band Palais Schaumburg und seit bald 20 Jahren einer der Herolde der elektronischen Tanzmusik.

Die Remix-Szene ist schon länger aufmerksam geworden auf das große Reservoir an guter, alter Musik, das mit ein wenig elektronischer Nachhilfe als Abwechslung auf den besseren Tanzböden der Welt willkommen ist. Musiker wie William Orbit mischen Partikel von europäischer und amerikanischer Konzertmusik mit definierten Beats und unterlegen die Musik mit jenen langen dramaturgischen und dynamischen Bögen, nach denen das Partyvolk lechzt. Dadurch gewinnt die Sesselmusik Klassik eine ungeahnte, kinetische Energie, die zu ganz neuen Ekstasen führen kann - freilich um den Preis ihrer Dekonstruktion bis zur Unkenntlichkeit.

Die Deutsche Grammophon etwa hat schon mehrfach ihre Schatzkammern DJs zwecks kreativer Plünderung überlassen. Auch Moritz von Oswald durfte sich schon mit dem Detroiter DJ-Guru Carl Craig über Ravel und Mussorgsky hermachen. Die Ergebnisse sind aufregender als die endlos schönen, oft endlos langweiligen Chill-out-Schleifen, für die Remixer mit blumigen Namen gefällige Passagen in der Musik von Brahms, Satie oder Debussy zur Hintergrundbeschallung gepflegter Dinnerpartys ausweiden.

Ob Klassik je das neue Techno wird? Wenn die ins Akustische rückübersetzte elektronische Musik so minimalistisch fein pulsiert und auch in den pumpenden Passagen noch so viel Raum für die tänzerische Fantasie lässt wie auf Tristanos Klavier - nur zu.

Francesco Tristano/Moritz von Oswald: So, 28.11., 19.30 Laeiszhalle (kleiner Saal) (U Gänsemarkt) Johannes-Brahms-Platz, Karten zu 8,- bis 24,- unter T.: 44 02 98