Helene Hegemanns Skandalroman “Axolotl Roadkill“ wird am Thalia Gaußstraße zur komischen Nummernrevue

Hamburg. Es schwirrt der Kopf, beinahe schon ist es so, als erfasse einen ein Schwindel. Auf der Bühne bewegt sich ein Laufband, auf ihm stolzieren aufgedrehte Menschen in abgefahrenen Outfits, sie reden, verdammt noch mal, überdreht, aufgeregt und geschliffen, als hätten sie ihr Leben lang darauf gewartet, ihren verbalen Ramsch (es ist der Unrat eines in Langeweile verbrachten Alltags) unter die Leute zu bringen.

Hinter dem Laufband fließt überdies, auf der Videoleinwand, ein Sammelsurium von Gegenständen an einem vorbei: Suppendosen, Puppen, Schlagworte. Das ist doch mal eine schöne Reizüberflutung, mit der man bei der Uraufführung von "Axolotl Roadkill" im Thalia-Theater an der Gaußstraße kämpfen muss. Jene erinnert aber erstaunlicherweise an die Lektüre des Prosa-Werks der Berliner Autorin Helene Hegemann. Auch dort wusste man nicht, wohin mit den Gedanken, die sich angesichts manch toller Sätze einstellten: "Diese junge Frau spielt geschmeidig auf der Klaviatur der Elemente wie eine Gazelle mit Panzerfaust." Um nur einen dieser Sätze zu nennen, die die Hauptfigur Mifti, diese "Wohlstandsverwahrloste", die in "Duldungsstarre" verfallen ist, Drogen nimmt, die Schule schwänzt und sich redlich bemüht, gegen jegliche Konventionen zu verstoßen, in einer Tour in dem Bestseller "Axolotl Roadkill" ventiliert.

Wenn man nun im Theater sitzt, geht einem die Sloganhaftigkeit der Hegemann-Prosa erst recht auf, die von Regisseur Bastian Kraft und Dramaturg Tarun Kade ziemlich originalgetreu auf die Bühne übertragen wurde. Ja, man denkt sich sogar: Sie ist eigentlich schon für die Bühne geschrieben, denn die dauerlabernde Selbstauskunft der Mifti, die Szenencollage des Romans und die tüchtig ratternden Dialoge mit Aha-Momenten sind nicht nur auf theatralische Darstellung hin angelegt, sie sind es bereits. Das sensationelle Bühnenbild folgt dem Charakter einer Nummernrevue, die "Axolotl Roadkill" in der Thalia-Bearbeitung bekommt.

Wir sind Zeugen der Mifti-Show, und die sagt vor allem zweierlei: "Das ist mein Leben!", und: "Ich weiß, was ich will - nicht erwachsen werden!" Nach diesen Handlungsmaximen zu leben scheint allerdings einigermaßen beschwerlich: Die Gesichter der fünf Schauspieler, die sich die Rolle der narzisstischen und überreflektierten Göre ("Diese sich verselbstständigende Altklugheit muss ich mir dringend abtrainieren") teilen, erstarren nicht selten in der angestrengten Fratze. Obwohl die Inszenierung Bastian Krafts doch unbedingt auf die Komik des schwierigen Stoffes zielt: Die hysterische Selbstsuche und das die Eltern anklagende Bekenntnisgewürge der Teenagerin sind vielleicht immer schon ein ironischer Appendix des Zeitgeists gewesen. Wenn nicht, sind sie es spätestens jetzt; es wurde viel gelacht während der anderthalbstündigen "Show".

Denn wer erwartet hatte, die Bearbeitung würde plump den grellen Angeboten des Textes folgen, sah sich getäuscht: keine Sexszenen, keine Discobeats in kahlen Darkrooms. Auch keine Partyszenen, in denen sich die minderjährige Mifti in den Rausch katapultiert, von ihrer 46-jährigen Geliebten und mit ihrer HIV-positiven Freundin spricht. Aber im Grunde ist soziale Interaktion für Mifti immer nur ein Selbstgespräch, und so wird die graue Nabelschau ("Ich habe kein Selbstbewusstsein") auf der Bühne zum desorientierten Rollentausch: Bisweilen steht Mifti dreimal auf der Bühne, nur ausnahmsweise, so scheint es, spielen Lisa Hagmeister, Cathérine Seifert, Victoria Trauttmansdorff, Sebastian Zimmler und Birte Schnöink die anderen Rollen: die Geschwister Edmond und Annika, Mutter und Vater. "Ich bin Mifti", plärren sich die Figuren an. (Das Geschreie gehört wohl leider dazu, wenn starke Seelenbewegungen gezeigt werden sollen.) Das abschließende "Fick dich, Mifti" ist jedenfalls ein plakatives Fazit der Auseinandersetzung mit sich selbst, das entweder der Schizophrenie entspringt oder in Arthur Rimbauds "Ich ist ein anderer" seine Entsprechung hat.

Der irritierende Selbsthass von Hegemanns Figur - die Verlorenheit kann ja nicht nur Pose sein -, die ihre Mutter an den Suff verliert und ohne die wünschenswerten Imperative der behütenden Erziehung aufwächst, wird im Theaterstück ein bisschen veralbert, ohne die problematischen Aspekte der Problemstudie, die "Axolotl Roadkill" schließlich auch ist, zu vernachlässigen.

Das ist keine kleine Kunst und nicht nur den Regie-Entscheidungen zu verdanken, sondern der Besetzung: Lisa Hagmeister spielt die Mifti (und Schwester Annika) langbeinig und sexy, Birte Schnöink eher unschuldig und 17-jährig: So changiert die Figur zwischen frühreif und kindlich. Wobei man Letzteres der zu allerlei Bösartigkeiten neigenden jungen Frau ohnehin nicht mehr abnimmt.

Übel nahm man der sehr jungen Hegemann (sie ist ja mittlerweile volljährig) vor knapp einem Dreivierteljahr, dass sie sich nicht unmaßgeblich von dem (Internet-)Autor Airen hatte inspirieren lassen. Natürlich ging die Hegemann lax mit den, nennen wir es ruhig noch: Zitierweisen und Quellenangaben um, aber der multimediale, dauerrauschende Datenfluss wurde von ihr doch auch schon im Buch benannt: "'Ist das von dir?' - 'Nein, von so 'nem Blogger" und "Mir wurde eine Sprache einverleibt, die nicht meine eigene ist". Im Publikum wurde an dieser Stelle gelacht: das Zitat des Zitats, und jeder wusste, woher es kam. Was nicht der Grund war, dass es am Ende viel Applaus gab für ein gelungenes Stück.