Im Märchen und im Film sind die Rollen klar verteilt

Weihnachten naht. Engel und Lichterketten tauchen in den Fenstern auf, die ersten lebkuchenbedingten Bauchschmerzen mussten bereits kuriert werden, der erste Glühweinkater lässt sicher auch nicht mehr lange auf sich warten. Und die Theater zeigen Weihnachtsmärchen.

Die gehören für viele Familien zum Fest wie Adventskranz, Tannenbaum und die Frage, in welcher Reihenfolge die obligatorischen Besuche bei den Eltern absolviert werden. Der gemeinsame Theatergang aber ist gänzlich unbelastet, er führt die Generationen zusammen. Denn die Geschichten, die auf den Bühnen erzählt werden, kennen viele Eltern aus ihrer eigenen Kindheit. Hänsel und Gretel, Aschenputtel, Frau Holle. Drei von insgesamt sieben Grimmschen Märchen, die die Hamburger Theater in diesem Jahr aufführen.

Doch was macht die Faszination der Märchen aus, warum heißt es jedes Jahr aufs Neue: "Es war einmal ..."? Ein Grund ist sicher das märchenhafte Weltbild. Bei allen Entbehrungen geht es bei Grimm & Co. viel einfacher, klarer und letztendlich auch schöner zu. Wer böse ist, wer gut, das ist von Anfang an klar: Hexe und Stiefmutter als Sympathieträger sind unvorstellbar.

Und auch, wenn es spannend ist, man weiß: Am Ende siegt das Gute. Hänsel und Gretel servieren Hexe nach Art des Lebkuchenhauses, Aschenputtel darf zukünftig Bedienstete herumkommandieren, statt selbst durch die Gegend gescheucht zu werden, und die fleißige Schwester wird von Frau Holle mit Gold überschüttet (Die Freude darüber hält sich bis zum Abklingen der blauen Flecke vermutlich in Grenzen). Das Böse als ewiger Verlierer ist eine Grundkonstante: In den Märchen verfolgte sie noch den Zweck, den Nachwuchs durch Drohungen zum "richtigen" Verhalten zu erziehen - wer sich nicht an die Regeln hält, landet im Ofen oder doch zumindest in der Gosse.

In der modernen Märchenfabrik Hollywood ist das Prinzip längst zum Selbstzweck geworden. Ob Actionfilm oder romantische Komödie, Science-Fiction-Epos oder Fantasy-Spektakel: Als Zuschauer kann man sich entspannt zurücklehnen, denn - keine Angst - die Helden werden siegen. Sei es, dass die ganze Welt oder doch "nur" die große Liebe gerettet werden muss, die Aufgaben sind klar verteilt. Helden, ob strahlend oder ungewaschen, sind zum Sieg verdammt, Todessterne, Naturkatastrophen und menschliche Fieslinge sind dem Untergang geweiht.

Auch Harry Potter, das ist ganz klar, kann am Ende nur gewinnen. Denn Lord Voldemort ist so abgrundtief gemein, dass er nach den ungeschriebenen Regeln der Unterhaltungsindustrie einfach nicht gewinnen darf. Wo kämen wir denn auch hin, wenn der Bösewicht auf einmal triumphieren würde?

Ja, gut, Opfer müssen gebracht werden, Dumbledore bleibt auf der Strecke, die Zaubererschule wird zum Sanierungsfall. Doch auch Autorin und Regisseur wissen, was von ihnen erwartet wird: Macht es spannend, aber wehe, der Böse gewinnt!

Gut, dass Darth Vader, Sauron, Dr. No und Lord Voldemort das nicht wissen, sie hätten alles, was man Sünde, Zerstörung, kurz: das Böse nennt, längst aufgegeben, würden lieber am Strand herumliegen, Cocktails schlürfen und die Helden ganz schön dumm dastehen lassen. Denn ohne Gegenspieler wäre Luke Skywalker Landwirt geblieben, Frodo in Beutlingen, James Bond hätte auf technische Spielereien und weibliche Gespielinnen verzichten müssen. Harry Potter schließlich wäre einfach ein weiterer Rotzlöffel im Zauberer-Internat Hogwarts, mit jeder Menge Flausen im Kopf und ohne Entschuldigung für mittelmäßige Schulleistungen.

Und die Moral von der Geschicht': Keinen Held gibt's ohne Bösewicht.