Bands wie Warpaint und The National spielten beim Rolling Stone Weekender in einer Ostsee-Ferienanlage. Ein Festival mit Wellness-Faktor.

Weissenhäuser Strand. Die Füße versinken im Teppich statt im Schlamm, der Regen tropft gegen die Scheibe statt gegen die (undichte) Zeltwand. "Warum sollte man durch die Campinghölle gehen, wenn man das hier haben kann?", fragt Konstantin Gropper, Sänger der Band Get Well Soon. Bevor er einen weiteren seiner selbst ernannten "Anti-Outdoor-Songs" zu Gehör bringt, schweift der Blick des jungen Mannes im Anzug durch den Baltic Festsaal. Die kleine flache Halle birgt einen Charme zwischen Kreuzfahrt und 70er-Jahre-Kasino. Und da stehen sie wippend im Takt auf der bunten Auslegeware, die Rock-'n'Roller. Die jungen, vor allem aber auch die schon etwas länger frischen.

Denn der Rolling Stone Weekender, der von Freitag bis Sonntag knapp 30 Konzerte und pop-affine Lesungen in der Ferienanlage Weissenhäuser Strand über insgesamt vier Bühnen brachte, ist ein Festival mit Wellness-Faktor. Eine überdachte Live-Sause für all jene, die Rock lieben, aber auch schon mal Rücken haben und deshalb die Romantik nasskalten Morgengrauens im Schlafsack für überbewertet halten. Oder, um mit den Worten einer Frau zu sprechen: "Boah, ich war noch nie mit so vielen Grauhaarigen auf einem Festival."

Doch Fans aller Altersklassen wissen schon bald das beheizte sechsmastige Festzelt zu schätzen, in dem zum Start die texanische Combo Midlake spielt. Wie wärmende Decken legen sich Soundschichten aus mehrstimmigem Gesang, Gitarren und Querflöten über die Besucher und schicken wohlige Schauer über den Rücken. Der Herbststurm hebt und senkt das Dach, die Musik hebt und senkt das Herz.

Die betagten Indie-Recken von Teenage Fanclub, die im Anschluss mit ihren Reminiszenzen an Beatles und Beach Boys beglücken, tragen die Anmutung von Oberstudienräten vor sich her. Ein entspanntes Anti-Styling, das der Lebensrealität vieler der 3500 Gäste eher entspricht als etwa freie Oberkörper zu pink Jeans wie bei den schottischen Prollrockern Biffy Clyro.

Die Funktionsjacke überwiegt im Gesamtbild im Vergleich zur Lederkutte. Pragmatik besiegt Sex-Appeal. Und das gepflegte Problemgespräch steht über Feierei. "Wenn man gemeinsam in Urlaub fährt, muss man sich auch Rückzugsräume lassen. Das haben wir doch immer so gemacht", schreit ein Mann seinem Freund ins Ohr, während Matt Berninger von der US-Band The National seine dunklen Klagen ins Publikum schickt. Der eine Diskutant trägt auf der Brust das Tocotronic-Zitat "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein". Das ist hoffentlich ironisch oder zumindest nostalgisch gemeint, denkt man, denn ansonsten drängt sich die Bemerkung auf: "Sorry, leider zu spät!" Da sind die T-Shirts der etwas lustlos aufspielenden Element Of Crime doch realistischer: "Too Old To Die Young".

Und es muss ja auch kein Entweder-Oder der Generationen sein. Synergieeffekte erschließen sich etwa bei Vater und Sohn, die zusammen aus Köln angereist sind: Papa, Typ Segelausflügler, hat das Portemonnaie, der Spross, Marke Schlonz, die Kippen. Gemeinsam haben sie sich die Acts vorab auf YouTube angeschaut. Den Amerikaner John Hiatt zum Beispiel, der ähnlich wie seine Landsleute von Giant Sand mit Americana und Country überzeugt.

Der Rock in seinen Facetten, etwa von den fulminanten Black Keys oder den folk-funkigen Blitzen Trapper, markiert das Hauptgenre an diesem Wochenende. Und traditionell ist er testosterongeschwängert. Starke junge Frauenbands wie Katzenjammer mit ihrem spielerischen Folkpop oder Warpaint mit ihrem Experimentalrock bilden da löbliche und umjubelte Ausnahmen. Das ist gewiss ausbaufähig. Denn wenn der Weekender eines zeigt, dann, dass sich unter dem Dach des Rock 'n' Roll so einiges subsumieren lässt.

Der witterungsunabhängige Dorfplatz mit seinem angetäuschten mediterranen Flair, seinen falschen Marmorstatuen und Plastikfensterläden, wird durchzogen von Elvis-, Soul- und Indie-Songs der Plattenstände. Am Sonnabend tanzen einige Besucher spontan im Neonlicht.

Im Rondell, einer Art aufgeblasenem Gartenhäuschen, dessen Theke eher an Partykeller als an Großveranstaltung erinnert, zelebriert ein Kerl auf dem Bein seines Kumpels ein Luftgitarrensolo, während sie zum psychedelischen Gewitter von Tame Impala auf ihr Bier warten. Und die, die in der Nacht noch den Schweiß der Saitenberserker geatmet haben, lassen sich tagsüber am Ostseestrand der Hohwachter Bucht durchpusten. Eine Gruppe hat unter der Seebrücke eine Mini-Stereoanlage installiert, aus der The Whos "Quadrophenia"-Soundtrack plärrt. Rock 'n' Roll funktioniert letztlich eben überall.