Autor Broder erinnert sich gemeinsam mit Josef Joffe, Dirk Maxeiner und Michael Miersch: “Früher war alles besser.“ Ein ironischer Rückblick.

Hamburg. "Wer sich erinnern kann, war nicht dabei", so das Urteil eines Musikers, der die Jahre aus Rausch und Drogen in Bausch und Bogen kennzeichnen wollte. Henryk M. Broder kennt den Spruch nicht, würde ihn aber Johannes Heesters zuordnen. Ein typischer Broder-Gedanke. Zusammen mit den Publizisten Michael Miersch, Josef Joffe und Dirk Maxeiner wirft der Provokateur in seinem Buch "Früher war alles besser" jetzt einen amüsanten Blick auf die vergangenen Jahrzehnte. In bewährter Manier, versteht sich, denn definitiv nicht ganz ernst nehmen darf man die Antwort, die Broder im "Cicero" auf die Frage, wofür denn eigentlich das M. in seinem Namen stehe, gab: "Modest, der Bescheidene."

"Kaum verschreibt der Augenarzt die erste Gleitsichtbrille, reift die Überzeugung, dass früher alles besser war", heißt es im Vorwort. Immerhin war man früher jünger. Doch der Titel ist pure Ironie. Denn früher, das war nicht nur die Zeit, als man Autos noch ohne Sicherheitsgurte fuhr und Kinder nicht gebracht und geholt wurden, sondern allein zu Freunden, Sport- und Musikunterricht gingen. Beim Zahnarzt konnte man nur unter einer mit Fußantrieb bedienten Bohrmaschine landen und was heute Facebook ist, war damals das Poesiealbum. Der umschwärmte, blondlockige Schulfreund schrieb da noch unter die Rubrik "Was ich hasse": "Grahmadik".

Die lustigen, politischen oder moralgeschwängerten Begriffe aus der Vergangenheit erzählen eine kleine Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Gammler, Wienerwald, Bürgerschreck, Klappstulle, Fräulein oder Latzhosen heißen nur einige der Phänomene, denen sich das Autorenquartett scharfzüngig, geistvoll oder amüsiert widmet. Broders Lieblingserklärung zu "Frühling, Sommer, Herbst und Winter" heißt "Früher: Jahreszeiten. Heute: Beweis für die Klimakatastrophe". Gefunden hat sie Kollege Maxeiner, der am liebsten alles knapp und knackig erläutert hätte, das aber "wahnsinnig schwer" findet.

Im Gespräch überbieten sich beide Autoren mit Erinnerungen an alles, was früher nicht besser, sondern schlechter war. Da kommt viel, sehr viel zusammen. "Das Essen war schlechter", sagt Broder, dem man ansieht, dass er gerne isst. "Ich verstehe gar nicht, warum uns Ranga Yogeshwar heute im Fernsehen erklärt, wie schädlich unser Essen ist. Früher war's viel ungesünder." Maxeiner sagt: "Das Wohnen war schrecklich. Man musste Holz oder Briketts zum Heizen holen. Oder Öl, das stank. Die Polyesterhemden, die man trug, die rochen auch. Heute lebt jeder Hartz-IV-Empfänger komfortabler als Ludwig der IVX." Broder ergänzt: "Die Frauen hatten BHs an, die man vorne aufmachen musste. Ein Albtraum."

Trotzdem schaut der Mensch gerne zurück, wenn die Wegstrecke nach vorne kürzer wird. Erklärungen und Begriffe im Buch sind durch einen "Zufallsgenerator" entstanden, wie Broder sagt, "jeder hat das gemacht, was ihm einfiel und wichtig war." Broder hat - wen wundert's - ideologische Begriffe übernommen, "Ehehygiene", "Gesundes Volksempfinden", "Falsche Bedürfnisse". Bei "Ehehygiene" zitiert er aus einem Gesundheitslexikon: "Von der Güte der geschlechtlichen Hygiene hängt das ganze Eheleben und das Schicksal der Nachkommen ab."

Bei Lesungen sind derartige Ausführungen sichere Brüller. Was falsche Bedürfnisse waren, wird so beschrieben: "Waren zur Zeit der Flokati-Teppiche und leerer Chianti-Flaschen mit abgebrannten Tropfkerzen so verbreitet wie das Burn-out-Syndrom heute.

Als äußere Anzeichen gelebter falscher Bedürfnisse galten bei Männern gebügelte Hemden und Krawattennadeln. Bei Frauen die Verwendung von Deo und Make-up." Wurde ein Anfangsverdacht auf gelebte falsche Bedürfnisse bestätigt, "drohten Sanktionen: Ausschluss aus der Karin-Struck-Gruppe und eine Gratistherapiestunde bei Margarete Mitscherlich". Aber wie sollte man "richtige Bedürfnisse leben?" "War es eine Reise nach Kuba als freiwilliger Helfer bei der Zuckerrohrernte? Oder genügte schon Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Rushhour?"

Henryk M. Broder ist ein kleiner, runder, pointensicherer Mensch. Nein, gemütlich ist er nicht. Und auch nicht lustig. Wie sonst wohl nur Michel Friedmann polarisiert Broder. Er ist gerne ein Schandmaul, positioniert sich mutig als Islamkritiker und lästert über Gutmenschen als "Ökoirre".

Sein Motto heißt: "Warum sachlich bleiben, wenn es auch persönlich geht." Aber wer sich der Mainstream-Meinung widersetzt, darf nicht empfindlich sein. Auf Broders Webseite finden sich Einträge, die ihn als "rechtsradikales, intolerantes Fascho-Schwein" bezeichnen oder als "impotenten Judenwurm". Jemand schreibt: "Herr Boda, Ihr Verhalten verstärkt das Bild des bösen, hinterhältigen, gerissenen Juden." Auf die Frage, warum er so etwas dort veröffentlicht, antwortet Broder: "Das sind Karzinome. Wenn ein Chirurg ein seltenes Karzinom entdeckt, teilt er sein Wissen mit anderen Chirurgen. So etwas muss man veröffentlichen. Da kann man gar nicht anders." Dirk Maxeiner, der mit Broder und anderen die Webseite "Die Achse des Guten" betreibt, auf der sie gegen politische Korrektheiten angehen, wird nicht persönlich attackiert. Es muss wohl doch der Jude sein, der viele so herausfordert. Ein wunder Punkt, in dem Broder gerne witzig bohrt. Die Frage, ob Juden in Deutschland mittlerweile integriert seien, beantwortet er sonntags in seiner neuen ARD-Reihe "Entweder Broder": "Die toten ja." Stimmt doch, irgendwie.

Satire, die nachdenklich macht. "Widerstand" sei auch so ein Begriff aus der Vergangenheit, sagt Dirk Maxeiner. "Heute gilt es ja bereits als Widerstand, wenn man die Zeitungen nicht in die Öko-Tonne wirft." Oder "Menschenverachtende Waffen", ergänzt Broder. "Gibt es auch menschenfreundliche Waffen?" Die Antwort gibt er selbst: "Natürlich. Die Neutronenbombe. Da bleiben die Pyramiden stehen. Nur Roger Willemsen gibt es nicht mehr."

Broder, Miersch und Maxeiner: lesen am 18.11. aus ihrem Buch in der Buchhandlung Heymann, Eppendorfer Landstraße 77, 20.30 Uhr, 13 Euro

"Früher war alles besser", Knaus Verlag, 224 Seiten, 16,99 Euro