In der ausverkauften O2 World inszenierte der Geiger David Garrett vor allem sich selbst. Der Geiger wandelt gekonnt zwischen Rock und Klassik.

Hamburg. Was ist er denn jetzt, dieser David Garrett? Stargeiger? Mediendarling, Schwiegermutters Liebling? Er ist vor allem eines: ein großes Kind. Und wer möchte ihm das verdenken? Seit er vier Jahre alt ist, begleitet ihn die Geige, seit dieser Zeit rotiert sein gesamtes Leben nur um das Instrument. Eine normale Kindheit mit schmutzverkrusteten Knien und Klingelstreichen, eine normale Jugend mit den dazu passenden Eskapaden sind ihm wahrscheinlich verwehrt geblieben.

Und nun ist das deutsch-amerikanische Wunderkind erwachsen. Füllt Arenen und Philharmonien bis zum letzten Platz, und auch in der ausverkauften O2 World zählt für ihn vor allem eines: der Spaß daran, das früher Versäumte nachzuholen. So erzählt er alberne Anekdoten aus Flugzeugen oder Hotelzimmern, strahlt ins Publikum und freut sich, dass die mehr als 11 000 Fans über seine Kinderstreiche lachen.

Dann wird er wieder ernster, spricht über Musik und Arrangements. Die große David-Garrett-Show geht weiter. Die Stücke, die er spielt, sind dem Publikum bekannt (die klassischen den Älteren, die rockigen den Jüngeren). So, wie er sie arrangiert, wird aber vieles zur Zirkusnummer, zum akustischen Beweis für die Fingerfertigkeit des jungen Mannes.

Wenn er Griegs "Halle des Bergkönigs" in Höchstgeschwindigkeit herunterfiedelt, den "Csárdás" auch gegen den Willen seiner Band in der Setliste belässt und Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" gänzlich vom Grunge befreit, dann will er zeigen, was er kann, wartet auf Anerkennung für seine schweißtreibende Vollgas-Performance.

Natürlich sind alle Bühnenpersönlichkeiten große Selbstdarsteller, aber das Heischen nach Aufmerksamkeit hat bei Garrett immer diese unschuldige, kindliche Qualität. Man sieht hinter dem mit Silberschmuck behängten Herzensbrecher den kleinen Jungen mit dem selbst gebastelten Kastanienmännchen: "Guck mal Papa, was ich kann!" Wo andere Stars ihr Privatleben hüten, sich jedes Eindringen verbitten, da erzählt Garrett gerne von seinem "Rockstarleben", kokettiert damit, dass er "momentan solo" sei. Die optische Waage zwischen verwegen und respektabel hält er dabei so gekonnt, dass Großmutter und Enkelin gleichermaßen dahinschmelzen. Und die Musik tut ein Übriges. Denn er nimmt den Stücken die Kanten, an denen man sich stoßen könnte, verbindet eigentlich Widersprüchliches zu scheinbar Neuem.

"Vivaldi meets Vertigo" kleistert den Barockkomponisten mit Bono zusammen, eine eigentümliche Mischung. Und dem Metallica-Fan läuft bei der heillos überarrangierten "Master Of Puppets"-Version zwar ein kalter Schauer über den Rücken, wer aber nur einmal kurz in die Welt der bösen Metaller eintauchen möchte, bekommt von ihm das angenehm temperierte Nichtschwimmerbecken serviert. Auf der anderen Seite verzieht der Bach-Enthusiast ob der in den Rock gezerrten "Toccata" den Mund. Für jene ist die Variante aber auch nicht gedacht, sondern für all diejenigen, denen es bei Konzerten sonst eher auf Promille- und Dezibelzahl ankommt.

Beim Wandern zwischen den Welten hat Garrett eine Schnittmenge gefunden zwischen arriviert und rebellierend, zwischen Rock 'n' Roll und Klassik. Nichts für die Menschen, denen "ihre" Musik heilig ist, sondern ein Mainstream-Kompromiss für viele. Für so viele, dass auch das Zusatzkonzert in einem halben Jahr vermutlich wieder ausverkauft sein wird.