Die einzigartige Bibliothek des Hamburgers Aby Warburg in London ist von der Zerschlagung bedroht. Nun regt sich weltweit Protest

Hamburg. Der große Vertrag umfasst nicht viel mehr als eine Seite - Papier ist knapp im November 1944. Einen Tippfehler korrigieren die Unterzeichner handschriftlich, es ist nicht wirklich wichtig, wie das Dokument aussieht, nur sein Inhalt zählt: Es nichts weniger als die Rettung der wichtigsten kulturwissenschaftlichen Bibliotheken Europas - die Sammlung des Hamburger Privatgelehrten Aby Warburg.

Sein Leben lang hatte der Bankierssohn Bücher gesammelt, 80 000 waren es am Ende, weil Warburg ein Suchender war und süchtig nach Wissen, ein psychisch Leidender, der über die Analyse von Kunstwerken eine Geschichte der Vernunft rekonstruierte. Um seine Bücher formte sich mit der Zeit ein Forschungsinstitut, Zentrum eines Kreises der wichtigsten deutschen Gelehrten der Zeit. Doch nachdem Warburg 1929 gestorben war, wurden jüdische Wissenschaftler bereits verfolgt und verhaftet; es waren britische Mäzene, die die Sammlung schließlich retteten. Im Dezember 1933 brachten die Dampfer "Jessica" und "Hermia" Kisten voller Bücher nach London, wo sie bis heute in den Räumen des Warburg Institute untergebracht sind - einer Forschungsstätte von Weltrang. Noch, jedenfalls. Denn knapp 80 Jahre nach ihrer ersten Rettung ist die Sammlung ein zweites Mal bedroht - von den Sparplänen der Universität London. Deren Verwaltung plant, die historische Sammlung ihrer eigenen Bibliothek einzugliedern. Was sich auf den ersten Blick nicht als spektakuläre Maßnahme liest, ist aber eine: Sie würde das Wesen und den Kern der einzigartigen Sammlung zerstören. Denn bislang arbeitete das Institut eigenständig, thematisch und räumlich.

Die Warburg-Sammlung war nie nur ein Haufen alter Bücher. Warburg folgte bei ihrem Aufbau keinem starren Schema, sondern ließ die Sammlung um thematische Kernfragen herum wachsen wie einen Organismus, ungeachtet disziplinärer Grenzen. "Forscher kamen so allein durch das Betrachten der Titel und das Schmökern am Regal assoziativ auf Zusammenhänge, die durch systematisches Arbeiten mit Katalogen und schon gar nicht durch Googeln zu erschließen sind", sagt Bernd Roeck, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Uni Zürich. Roeck arbeitete einst am Warburg Institute in London und bekleidet im nächsten Jahr wahrscheinlich die Warburg-Professur in Hamburg, er sagt: "Die Uni London versichert die Unabhängigkeit des Instituts auch bei einer Eingliederung in die eigene Bibliothek - da stellt sich die Frage, was eine Veränderung des Istzustands überhaupt bringt."

Der Historiker preist die einzigartige Arbeitsweise des Instituts, das in einem Klinkerbau mitten in London untergebracht ist ("Das Institut ist ein Denkmal europäischen Geistes"), und fordert unumwunden: "Bevor die Sammlung anonym in der Londoner Bibliothek aufgeht, muss sie zurück nach Hamburg geholt werden." Die Übertragungsurkunde von 1944 gestatte es eigentlich gar nicht, die Bibliothek einzugliedern, "sie garantiert die Unabhängigkeit". Roeck ist nicht der Einzige, der für die legendäre Einrichtung kämpft. Als die Pläne bekannt wurden, ging deshalb auch ein Aufschrei durch die akademische Welt. Zwei der renommiertesten Geisteswissenschaftler der USA, Anthony Grafton (Princeton University) und Jeffrey Hamburger (Harvard), veröffentlichten ein leidenschaftliches Plädoyer für das kleine Institut in der "New York Review of Books": "Save the Warburg Institute" lautete ihr Titel.

Nicht weniger dramatisch klingt Max Warburg, Direktor des Bankhauses, wenn er die Pläne der Londoner Universität als einen "Skandal" bezeichnet. Es war schließlich sein eigener Vater, Eric Warburg, der im November 1944 die Schenkung durch einen Vertrag besiegelte. "Und aus dem ursprünglichen Vertrag geht eindeutig hervor, dass das Institut selbstständig bleiben soll und auch selbstständig zu finanzieren ist. Ich bin sehr enttäuscht über die jetzige Diskussion, die Familie Warburg wird rechtlich alles unternehmen, um dagegen vorzugehen und das jetzige Vorhaben zu verhindern."

Die Warburg-Stiftung in Hamburg verfolgt die Londoner Debatten aufmerksam. Vorige Woche war der Direktor des Londoner Warburg Institute zu Gast in Hamburg. "In London hat man sich sicher gedacht: Dieses kleine Institut mit seiner Bibliothek, das können wir bestimmt schließen", sagt Charlotte Schoell-Glass, Professorin für Kunstgeschichte und Mitarbeiterin der Aby-Warburg-Stiftung. "Doch da haben sie sich wohl verrechnet." Beide Seiten, sowohl das Warburg Institute in London wie auch die dortige Universität, beraten sich derzeit mit ihren Anwälten. "Ein bisschen erinnert diese Geschichte ans Altonaer Museum - erst wird die Schließung verkündet, dann stellt man fest: Das geht rechtlich gar nicht."

Um die Schließung zu ermöglichen, müssten die im Schenkungsvertrag von 1944 genannten Bedingungen verändert werden - das ginge allerdings nur, wenn die Universität glaubhaft machen könnte, dass diese Bedingungen nicht mehr zeitgemäß sind.

In der Bibliothek, die inzwischen mehr als 350 000 Exemplare umfasst, arbeiten vor allem Stipendiaten. "Das Institut ist ein Stück Alteuropa", sagt der Historiker Roeck, "aber was zählt, ist nicht das Nostalgie-Argument, sondern die einzigartige Verbindung von Büchern und Forschung, die Symbiose von Institut und Bibliothek."