In Hamburg bündeln Institutionen ihre Kräfte, um weltweit renommierte Jazzkünstler in die Stadt zu holen. Ein Plan, der mit “Überjazz“ aufgeht.

Hamburg. Das beste Mittel gegen Kleckern ist Klotzen. "Überjazz" lautet der neue, übermütige Name der Hamburger Jazztage, und über die Maßen gewachsen ist dies zuletzt eher bescheidene Herbstfestival der improvisierten Musik ohne Frage. An zwei Abenden, heute und morgen, drängen sich auf Kampnagel gleich 24 Bands. Darunter sind ungewohnt viele große Namen - Jason Moran & The Bandwagon, Lizz Wright, das John Scofield Trio, die Matthew Herbert Big Band - sowie stilistisch überaus unterschiedliche Gruppen von internationalem Ruf, die alle eindeutig zeitgenössische Spielarten des Jazz pflegen. Und auch die lokale Szene ist gut vertreten.

Fans werden bei Überjazz einen Overkill an tollen Konzerten beklagen, die sie zur Gänze unmöglich alle mitkriegen können, weil zu vieles parallel läuft - Spielorte sind die drei Kampnagel-Hallen 1, 2 und 6 sowie die kmh. Das letzte Konzert steht um ein Uhr früh am Sonntag auf dem Programm, zur besten Hardcore-Nachteulenzeit. Auf einmal also Jazz satt, als gäb's kein Morgen.

Wie schon das charmante Hafen-Openair-Festival "Elbjazz" Ende Mai verdankt auch der Überjazz seine Existenz einem gewachsenen Vermögen der zum Jazz entschlossenen Institutionen in Hamburg, ihre Kräfte zu bündeln. Kampnagel - unter anderem Austragungsort der Reihe JazzToday -, die Konzertdirektion Karsten Jahnke, das Jazzbüro Hamburg und die für den Jazz-Standort Hamburg eminent wichtige Jazzabteilung des NDR ziehen an einem Strang und bringen so Dinge in Bewegung, die heute allein nicht mehr zu wuppen sind.

Über Hamburg geht dieses Festival nieder wie ein heftiger Platzregen auf von der Trockenheit rissige Erde. Dabei blüht auch unter den bekannt kargen Bedingungen minimaler Kulturförderung manch kostbares Jazzgewächs in der Stadt.

Man gehe dienstags in die Bar 227 an der Sternbrücke, in der Hamburgs Jazzpreisträger Gabriel Coburger schon seit vielen Monaten in der Reihe "Fat Jazz Tuesday@bar227" die lokalen Spitzenkräfte des Jazz präsentiert und immer wieder mit den besten Spielern aus anderen deutschen Städten zusammenbringt. Man quetsche sich in den niedrigen Schuhkarton namens Hafenbahnhof an der Großen Elbstraße und verfolge, wie etwa Hamburgs stärkste Jazzbegabung, der Saxofonist Sebastian Gille, in immer neuen Konfigurationen seine kompromisslose Improvisationskunst weiterentwickelt.

Oder man gehe am 24. November in die Kantine des Deutschen Schauspielhauses, wenn die am vergangenen Mittwoch glücklich gestartete monatliche Reihe "Lautsprecher" ihre zweite Ausgabe erleben wird.

Wieder ist es die Jazzredaktion des NDR, die maßgeblich an dieser neuen Form eines von Michel Abdollahi extrem launig moderierten Abends mit improvisationsfreudigen Schauspielern und lokalen Jazzmusikern beteiligt war. Ein Jahr steckten der Redakteur Stefan Gerdes und seine Partner von der gebeutelten Bühne an der Kirchenallee in die Vorbereitung.

Bei der Premiere von "Lautsprecher" trugen Jana Schulz, Marco Albrecht und Martin Wißner auch vier unvergessliche Rücktrittsreden des Jahres 2010 vor - von Margot Käßmann, Horst Köhler, Ole von Beust und von Friedrich Schirmer - genüsslich zu entsprechend melancholischer Musik von Daniel Stickan (Klavier), Felix Behrendt (Bass) und Christophe Schweizer (Posaune).

"Durchhalten!" hieß die Parole. Ein Wort, das auch gut auf den Stempel passen würde, der die Festivalgäste zum munteren Wechseln der Kampnagel-Hallen bei "Überjazz" berechtigt.