Die komische Ernsthaftigkeit von Fabian Hinrichs rettet die satirische Passion: “Rust - Ein deutscher Messias“ am Schauspielhaus.

Hamburg. "Fliegen ist Freiheit", ruft Fabian Hinrichs im Parkett. Im Vergleich zu vorigen Premieren sind die Reihen auffallend dicht besetzt. Freudig lässt er seine Krücken flügelartig flattern. "Keine abwegige Idee des Regietheaters", verkündete Heinz Strunk vom Studio Braun zu Beginn von "Rust - Ein deutscher Messias". Der "Schauspieler des Jahres" hatte sich bei den Proben das linke Bein gebrochen und kam nun als Sektenführer, ganz in Weiß auf einem Hocker geschoben, wie im "Papamobil" zur leutseligen Audienz angerollt. Immer wieder erteilte Hinrichs' Heil bringender und Himmel stürmender "Ikarust" den Zuschauern seine Lektionen und gab dem Bildertheater-Spektakel über den Kreml-Flieger aus Wedel sein Zentrum.

"Wer bin ich?", fragt sich der bebrillte Nerd im Pullunder und die "stets tatenlos zuschauende" Menge. Studio Braun versucht eine Antwort zu geben mit seiner trashig satirischen Travestie einer Passion. Jacques Palminger, Rocko Schamoni und Strunk entfalten entlang der biografischen Fakten die Reise eines einsamen, unterdrückten Jungen zu sich selbst. Als eine zaghafte und verzweifelte Suche nach Liebe, Leidenschaft und Freiheit.

Das Trio vergisst dabei aber nicht, auch sich selbst rampenwirksam in Szene zu setzen - als zünftige Parodien auf deutsche Fliegerhelden. Oder ziemlich sinnfrei und mäßig witzig als dreifaches "Penis-Orakel" in fleischfarbenen Ganzkörper-Kondomen mit sackförmig schlackernden Ausbuchtungen um die Knöchel.

Schon als neunmalkluger Knabe will "Professor Rusti" ein Zeichen setzen und ausbrechen aus Kleingarten, Kleingeist, Kleinfamilie. Mama erlaubt Flugstunden. Strunk, scharf auf die Mutti-Figur, muss sich ein Wettvorsprechen mit der Staatsschauspielerin Juliane Koren gefallen lassen, zickt divenhaft rum - und verliert.

Der Unterricht im Simulator bietet dann Gelegenheit für jede Menge Flachwitze und einen eindrucksvoll animierten Gleitflug über Hamburg hinweg: "Der Bahnhof ist da, aber das Schauspielhaus ist fort. Die Kulturbehörde steht noch." Nachdem der angehende Hobbyflieger den Mundsburg-Türmen ein flammendes 9/11 bereitet hat, singt Hinrichs die Witze nochmals nach. Und siehe: Auf einmal klingen sie nicht saublöd, sondern lassen - zum Herzerweichen traurig - Rusts Schmerz über die grausame Banalität des Lebens fühlen.

Am 28. Mai 1987 landet der 18-jährige Mathias Rust mit einer Cessna 172 nahe des Roten Platzes. Auf der Bühne empfängt den Schwärmer kein Politiker, sondern eine Folklore-Kapelle für Touristen, darunter die Karikatur des falschen Russen Ivan Rebroff. Die Naivität, aber auch den unbedingten Glauben von Rusts Friedensmission setzt die durch Musik- und Gesangseinlagen oft albern oder kabarettistisch wirkende Inszenierung ins Bild.

Dabei ist das Studio Braun nie um Gags und Nonsens verlegen und bereitet damit seiner Fangemeinde helle Freude. Sie sparen auch nicht an visuellen Effekten: Sie zeigen den historischen "Tagesschau"-Clip, Projektionen und Schattenspiel (bei Rusts Messerattacke auf die Lernschwester in Rissen); sie lassen Sternenhimmel und Konfetti-Feuerwerk glitzern; sie schonen weder Hebe- noch Drehbühne, auch die Flug-, Nebel- und Windmaschinen nicht. Bühnenbildner Damian Hitz und Dore Balburg, verantwortlich für Sekten-Uniformen und Shirts mit Möwen-Emblem, kamen sicherlich aus dem Rotieren nicht heraus.

Studio Braun bedient sich hemmungslos, doch mit anarchischer Lust und einem subversiven Humor aller Möglichkeiten einer Staatsbühne. Es nimmt sie als einen großen bunten Spielzeugkasten wie schon in seinem Kultstück "Dorfpunks". Auch mit der Hamburger "Rust"-Revue ist ihm und dem Schauspielhaus ein Renner sicher, auch wenn sich das Bildertheater diesmal stärker erweist als die Spielszenen - mit Ausnahme der fabelhaften Soli von Fabian Hinrichs.

Rust - Ein deutscher Messias 26.10., 4.11., 20.00, Schauspielhaus, Karten: T. 24 87 13; Infos unter www.schauspielhaus.de