Der NDR denkt über Scripted Reality nach, will aber - anders als die Privaten - auf Krawall verzichten

Hamburg. Scripted Reality-Formate sind Sendungen, in denen pöbelnde Hartz-IV-Bezieher, schwangere Teenager, Schulschwänzer und Trinker und andere vom Leben Benachteiligte auftreten. Sie tragen Titel wie "Mitten im Leben" oder "Die Schulermittler". Im Unterschied zu ähnlich gestrickten Dokusoaps werden sie nach Drehbuch mit Laien gedreht. Der Eindruck, hier werde die Wirklichkeit abgefilmt, ist aber durchaus erwünscht.

Solche Formate sind für ARD-Programmdirektor Volker Herres "inszenierter Trash, der allein auf Voyeurismus und Schadenfreude basiert". Es verstehe "sich von selbst", dass, "diese Sorte vermeintlicher Realität, von Laienschauspielern grottenschlecht dargestellt, mit unserem Programmauftrag definitiv nicht zu verbinden ist".

Tatsächlich? Wie die "Süddeutsche Zeitung (SZ)" meldet, hat der NDR-Programmbereich Dokumentation und Kultur bereits im Juni ein Papier mit dem Titel "Scripted Reality - eine Chance für den NDR?" erstellen lassen. Ein NDR-Redakteur nahm Kontakt zu führenden Produzenten des Genres auf. Einer von ihnen, die Hamburger Firma Stampfwerk, meldete prompt auf ihrer Website unter der Rubrik "Pre-Produktion" eine "Entwicklung NDR/ARD" an.

"Wir denken über die Möglichkeit nach, tatsächliche Begebenheiten aus verschiedenen Lebensumfeldern nachzuerzählen", sagt NDR-Programmdirektor Frank Beckmann.

"Abwegig" sei es "diese Überlegungen in die Nähe der Scripted Reality-Formate bei RTL und Sat.1 zu stellen". Es soll "in keinem Fall" um "Krawallgeschichten" gehen. Worum aber dann? Den Plan, Erlebnisse eines Dorfpolizisten nachstellen zu lassen, von dem die "SZ" berichtet, verfolgt der NDR nicht mehr. Angeblich ist aber auch eine Geschichte zum Thema Kreuzfahrt in Planung. Dazu sagt Beckmann nichts.

Man befinde sich derzeit erst in der "Themenentwicklung", an der auch die dokusoaperfahrene ("Männer allein daheim") Studio Hamburg DocLights beteiligt sei. "Sollte die Idee weiterverfolgt werden, würden die Zuschauer klar erkennen können, dass es sich um nachgespielte reale Begebenheiten handelt." Aber erst, "wenn die Ergebnisse der redaktionellen Überlegungen vorliegen, werden wir entscheiden, ob die Formate den Ansprüchen genügen und ob es sich lohnt, diesen Ansatz weiterzuverfolgen", sagt Beckmann. "Derzeit ist das Ergebnis offen."

Vor zwei Wochen hatte Beckmann auf einer Podiumsdiskussion Scripted Reality als "Scheinrealität" bezeichnet, die es bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht geben werde. Den SWR-Fernsehspielchef und künftigen Studio-Hamburg-Geschäftsführer zitierte dpa mit den Worten, das Genre führe zu einer "Hinrichtung" bestehender Sendungen. Er fühlt sich falsch zitiert.

Und was ist mit dem NDR-Auftrag für Stampfwerk? Den gibt es wohl doch nicht. Die Firma nahm den Eintrag gestern Nachmittag von ihrer Site.