Erst stört er die Liebenden, dann macht er sich aus dem Staub - der Film “Goethe!“ zeigt den Dichterfürsten als Beziehungs-Crasher.

Hamburg. Nie, sagt Philipp Stölzl, habe er sich vorstellen können, einen Film über Johann Wolfgang von Goethe zu drehen. Über diesen Säulenheiligen der deutschen Literatur, den Stürmer und Dränger, den späten Klassiker, den Kanonbestücker. Tolle Sachen habe der geschrieben. Aber das Zeug zum Kinohelden? "Hat er nicht", sagt Stölzl, 43, der Regisseur von "Goethe!", mit der Erklärung tut er sich nicht schwer. "Ihm fehlt das Konfliktpotenzial. Der Alte aus Weimar konnte alles, wusste alles, war Naturwissenschaftler, Farbenforscher und Minister, und dann ist er auch noch alt geworden."

Doch um ein Kinoheld zu werden, braucht es mehr. "In einem Künstlerfilm möchte man doch viel lieber einen total unverstandenen Protagonisten haben, der am besten auch noch unter dramatischen Umständen jung gestorben ist." Das leuchtet ein. Aber nun hat Stölzl doch einen Film über den Dichterfürsten gedreht. Was ist passiert?

Es war Produzent Christoph Müller, der die Idee hatte, nicht das ganze Leben des Universalgenies zu verfilmen - sondern nur ein Bruchstück daraus. Eine Phase seiner Jugend, als Goethe selbst noch ein Zögerer war, bevor er sie dann in seinen Texten beschrieb; ein etwas unentschlossener junger Mann, der auf Wunsch seines Vaters Jura studierte. Und der unglücklich verliebt war, in das Mädchen Lotte Buff. "Das Konzept hat mich total überzeugt, da hatte ich den Konflikt, den ich brauchte", sagt Philipp Stölzl.

So ist sein Protagonist also kein von Geltungsdrang durchdrungenes Genie - sondern einfach nur faul. In Straßburg rauscht er durch die Doktorprüfung, zum Abschied kratzt er der strengen Prüfungskommission ein "Lecket mich!" in den frisch gefallenen Schnee. Sein Vater schickt ihn danach in die Provinz. In Wetzlar muss er in einer muffigen Kanzlei ackern und verliebt sich in Lotte (Miriam Stein), die sich aber mit Goethes Kollegen Kestner (Moritz Bleibtreu) verlobt. Die unglückliche Liebe inspiriert ihn, "Die Leiden des jungen Werther" zu schreiben. Das Werk wird ein Bestseller, ist es bis heute geblieben. Und sein Autor? Ein früher Literaturstar.

Im Grunde sei Goethe ein "Beziehungs-Crasher" gewesen, lästert Stölzl. Er habe Lottes Liaison mit Kestner durcheinandergebracht. "Danach hat er sich, wie fast immer in seinem Leben, in letzter Sekunde aus dem Staub gemacht." Um sich gleich danach wieder in eine Verheiratete zu verlieben, die Frankfurter Kaufmannsfrau Maximiliane. Der Regisseur sieht seinen Protagonisten kritisch. "Er drängt sich in Beziehungen, bringt sie durcheinander und haut dann wieder ab. Alle sind geschädigt. Nur er macht Literatur daraus und wird auch noch berühmt."

Die Filmemacher haben sich einige Freiheiten mit den historischen Fakten genommen und auch die Dialoge in manchen Passagen schön flapsig gehalten. In Testvorführungen erwies sich das aber nicht als Manko. "Sogar bildungsbürgerlichen Leuten hat der Film gefallen. Sie hatten offenbar Spaß daran, unsere 'Fehler' zu entdecken", sagt Philipp Stölzl.

Doch in einigen Punkten reklamiert er auch Authentizität. Die Außenaufnahmen des sieben Millionen Euro teuren Films wurden überwiegend in Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze gedreht. Das Team studierte vorher Canaletto-Bilder, denn "wir wollten wissen, wie die Welt zu Goethes Zeiten aussah". Möglichst echt sollte die Szenerie des 18. Jahrhunderts wirken, "nicht wie Salzburger Mozart-Festspiele". Das galt auch für den jungen Schriftsteller. "Goethe war wild und schön, er war sich seines Talents völlig bewusst. Seine Umgebung hat er begeistert und schockiert."

Bewusstsein und Talent, davon kann auch Stölzl eine Menge erzählen. Er hat Videoclips für Rammstein und Madonna gedreht, inszenierte Opern in Salzburg und Berlin. "Goethe!" ist nach "Baby" (2002) und "Nordwand" (2008) sein dritter Film. So eng getaktet ist momentan sein Zeitplan, dass er nur während einer Operettenprobe Zeit für ein Gespräch hat. In Stuttgart inszeniert er gerade "Die Fledermaus".

Aber auch wenn er zunächst Bedenken hatte - für Goethe musste man Stölzl nicht begeistern. "Das lag an unserem tollen Hippie-Deutschlehrer. Er hat uns den Dichter auch mit seinen menschlichen Schwächen nahegebracht." Noch vor der Wende reiste der Pädagoge mit seinen Schülern nach Weimar. Und Stölzl hatte in den Münchner Kammerspielen ein Schlüsselerlebnis mit "Faust": Helmut Griem spielte die Titelrolle, Sunnyi Melles das Gretchen. "Es war eine sehr saftige und kluge Inszenierung, die auf mich großen Eindruck gemacht hat." Kein Wunder also, dass "Faust" bis heute zu seinen Lieblingsstücken gehört. Und die Balladen, weil sie wie Hollywood sind. Lustig, aufregend, emotional, großes Kino eben. "Goethe!" ist das nicht - aber nicht allen Klassikern gelingt im Kino so eine entstaubte Neuauflage.

"Goethe!" startet am Donnerstag, heute stellt Produzent Christoph Müller ihn im Abaton vor. 20.00, Abaton (MetroBus 4 + 5), Allende-Platz 3