Der Golden Pudel Club auf St. Pauli wird 21. Gefeiert wird erst jetzt, weil das charmant-chaotische Kollektiv das runde Jubiläum verschlief.

Hamburg. Auf dem Tisch stehen Gebäck und Semmeln, um ihn herum sitzen die Helden des Undergrounds, die Neonfunzel (so etwas gibt es nur hier) leuchtet Edding-Lyrik auf steinernen Wänden aus, unsere Sportschuhe stehen auf dunkel gekacheltem Boden. Den haben schon viele betreten in den vergangenen beiden Jahrzehnten, Hipster und Punker, Dandys und Künstler. Wir sind im Golden Pudel Club , dem Mekka, ach, warum so abgedroschen, sagen wir lieber: dem El Dorado des Independent, des Anderen und Alternativen. Der Pudel Club ist eine Musik-, Kunst- und Feierinstitution in Deutschland, ein mythischer Ort der Gegen- und Subkultur.

Hier fühlen sich alle wohl, die nicht reich sind oder in kapitalistischen Kategorien denken, und hier bedeutet Kreativität sehr viel, am meisten im Gewande der Ironie, Rocko Schamoni drückt sein Kreuz durch und sagt: „Humor ist eine Waffe“. Klar ist er das; eine Haltung, aus der heraus man angreift, mit der man sich von anderen unterscheidet. Schamoni, zusammen mit Schorsch Kamerun und dem verstorbenen Norbert Kahl der Gründer des fabelhaften Pudel-Clubs, hat gerade erst mit seinen Kompagnons – neben Kamerun sind das zurzeit Ralf Köster, Charlotte Knothe und Viktor Marek – eine Mail über den Presseverteiler verbreitet, in ihr stehen folgende, unbedingt bedenkenswerte Sätze: „Der Golden Pudel Club ist und bleibt ein Hort der wundervollen Widerspenstigen mit starker Partyaffinät und einem gewissen Hang zur humoristischen Randale. Musik, Theater und Cooles Wissen bilden hier die Grundkoordinaten des nunmehr legendären Jugendclubheims für bezaubernde Ladys, nicht altern wollende Dandys und ewigen Kindsköpfen: Ein Kunstraum, älter als der Begriff von Virtualität und somit seit nun über 20 Jahren eine formidable Probebühne für jede Form von Individualität.“

Das ist großartig formuliert, wie stets knapp am vollkommenen Ernst der Lage vorbei und doch mehr als nur Wortgeklingel, „Pudel-Style“ eben, zitierfähiges Satzgedrechsel und ausgefeilte Spielerei mit Wortpyramiden. Die Ankündigungen und Selbstverlautbarungen der Pudelmacher blödeln, sie sind schöpferisch und dauerironisch. In diesem Herbst feiert der Pudel-Club seinen 21. Geburtstag, hört hört. Es wird, am 18.12. auf Kampnagel, eine „Gala“ geben und außerdem eine Doppel-CD mit ausgesuchten Pudel-Club-Klängen. Man darf annehmen, dass sich die Kampnagel-Feierei noch in der Planung befindet, oder wie Ralf Köster im anberaumten Pressegespräch auf Pudel sagt: „Was wir auf der Gala machen, woher soll ich das genau wissen?“ So charmant-chaotisch geht es zu im Pudel Club, und das hat natürlich Methode. Im vergangenen Jahr haben sie den 20. Geburtstag, den runden also, einfach verschlafen, also wird im Dezember nachgefeiert. Es werden viele Pudelianer dabei sein: Neben Kamerun, Schamoni, Köster und Viktor Marek auch altgediente Weggefährten wie Jaques Palminger, Rica Blunck und DJ Pattex.

Und über was redet man jetzt so mit diesen, ja doch, legendären Gestalten aus dem Nachtleben, die ihren Underground-Anfängen irgendwie entwachsen sind? Aber das ist schon mal falsch, sagt Schorsch Kamerun, der auch in München und Berlin inszeniert, er ist jetzt ein Theatermann, gehört also zur E-Kultur. Und Schamoni, der alte „Dorfpunk“, verkauft Bücher in sehr respektablen Mengen, jetzt schaut er einen aber erst mal an mit seinem skeptischen Schamoni-Blick, und man schiebt eilig hinterher: „Also, nicht dass ihr jetzt zum Establishment gehört, so war’s nicht gemeint“. Man hatte doch tatsächlich gewagt (und wurde durch das abgeranzte Interieur des Pudel Clubs förmlich dazu genötigt!), die prominente Parteinahme der Pudelianer für das Schauspielhaus vor dem Hintergrund der Vergangenheit nennenswert zu finden. Schorsch Kamerun sagt: „U und E unterscheiden? Fand ich schon immer schwierig.“ Rocko Schamoni sagt: „Mit unseren populären Unternehmungen verdienen wir das Geld, mit dem wir uns den Spaß im Pudel Club leisten können.“

Denn Gewinn hat der Pudel Club noch nie richtig abgeschmissen, legendär ist die Geschichte von der Steuernachzahlung: Man hatte doch glatt vergessen, dem Staat das Seine zu geben. Aber man ist unabhängiger, weil man anders als die Orte der, ja doch: Hochkultur keine Subventionen bekommt und machen kann, was man will. Countrytechno aufführen zum Beispiel. Damit ging, damals noch in der Schanzenstraße, die ganze Chose los. Als sich Musiker und Nachtmenschen zusammentaten, um abseits des Hauptstroms etwas zu machen, das einen gar nie festlegen kann. Wir haben so lange überlebt, sagt Schamoni, „weil wir ein mäandernder Organismus sind, bei uns war und ist immer alles im Wandel“. Wieder: der herausfordernde Blick. Man solle, sagt der, bloß nicht versuchen, irgendwelche Schubladen für den Pudel zu öffnen und diesen in jene zu stecken.

Na gut. Vielleicht fangen wir mal so an und fragen, was der Pudel Club nicht ist. „Erzähl’ die Köln-Geschichte“, sagt Schamoni zu Viktor Marek. Also, die Köln-Geschichte geht so: Dort gab es vor ein paar Jahren plötzlich auch einen Pudel-Club, die Hamburger hatten sich ihren Namen nicht schützen lassen. Plötzlich hagelte es böse Mails und Ansprachen, von wegen: „Ihr könnt das doch nicht machen – und WAS macht ihr da überhaupt?“ Der neue Club war nämlich ziemlich stylisch. Aber in die andere Richtung. Man rief in Köln an, der Betreiber versprach, den Namen abzulegen, was er aber nicht tat. Und dann nahmen sich die Macher des Original-Pudels einen Anwalt. Man bekam Recht und rettete die Marke. Denn das Pudelgefühl, den Pudelstil, der aus Schlagermusik und Avantgarde-Pop bestehen kann, aus abgerissener Punk-Kleidung, dandyeskem Second-Hand-Look und lässigem Sportjacken-Schick, den schützen sie. Pudel, das bedeutet zusammengeschustert, aneinandergetackert und nicht smooth, aus einem Guss, schön.

Sie haben nie Szeneregeln befolgt, erklärt Kamerun, „und trotzdem ist unser Club ein Prozess, wir diskutieren viel“. Manchmal tauschen sie das Publikum einfach mal so aus, sie spielen es förmlich raus, indem sie ganz andere Sachen auflegen. Die Malle-die Hände-zum-Himmel-Schwingungen zum Beispiel, die können ironisch durchaus in den Pudel passen. Aber irgendwann müssen sie raus, und dann kommen neue Vibes und neue Leute.

Der Pudel Club ist einmal, 1999 war das, von den damals die Feuilletons provozierenden sogenannten Popliteraten übel angegriffen worden, die apolitischen, sich als Schnösel gerierenden Stuckrad-Barre und Co. kritisierten die grundironische Haltung der Hamburger: „Der Pudel Club ist das Allerverkommenste“, schrieben die damals. „Sie brauchten eine andere Haltung, eine andere Position“, sagt Kamerun und zuckt mit den Schultern. Gekränkt hat sie die der Angriff trotzdem, und Marek, der DJ mit dem fein ziselierten Bart, erinnert sich an einen peinlichen Auftritt eines dieser schnieke angezogenen Schriftsteller, „der wollte nicht die zwei Mark Eintritt zahlen, um bei uns reinzukommen, das artete fast in einer Schlägerei aus“.

Letztlich wollen auch die Verfechter des Lebens- oder Ausgehprinzips „Pudel Club“ etwas darstellen, man kann auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten nicht kein Image haben, das können die Pudelianer drehen und wenden, wie sie wollen. „Das Wort ‚Subkultur’ ist ein schöner Begriff, und auch Alternativsein ist etwas Schönes“, sagt Schorsch Kamerun, er hat mit den Goldenen Zitronen phänomenale Platten aufgenommen, als manche der Pudelgäste noch nicht geboren waren. „Wir kamen einst aus konservativen Käffern, wir wollten anders sein.“ Diese Sehnsucht nach dem Anderssein soll dem Ideal nach subversiv sein, klar, aber sie wird bisweilen ins Gegenteil verkehrt. Zum Beispiel, wenn sich Stadtentwickler und Behörden, Stichwort Gentrifizierung, plötzlich mit den Subkulturen schmücken, „dann wird das Image ein Problem“, sagt Kamerun, „aber wir haben hier auf St. Pauli Plattformen gefunden, auf denen wir gemeinsam auftreten und kundtun, dass wir das nicht gut finden“.

Wie lange wird es den Golden Pudel Club noch geben? Das werden die Leute bestimmen, sie werden mit ihren Reaktionen, ihrer Anteilnahme und ihrem Enthusiasmus zeigen, ob der Club am Hafen der Szene noch genug Impulse gibt. „Mal schauen, wann wir demnächst die Strategie ändern“, sagt Schamoni. Einmal, sagt er, will er aber noch in eine andere Stadt umziehen, mit dem ganzen Club. Neapel wäre nicht schlecht, einfach so. Aber jetzt wird erst mal gefeiert.

Mit allen Hamburger Pudelianern.