In dem Bildband “Stark wie Zwei“ dokumentiert Lindenbergs Gefährtin Tine Acke fotografisch das gloriose Comeback des Sängers

Hamburg. War das überhaupt eine Begegnung? Wir haben Ellbogen an Ellbogen in zwei Fauteuils in der Raucherlounge des Atlantic-Hotels gesessen, und ich habe allerhand Verrenkungen gemacht, um diesem Mann wenigstens einmal in die Augen zu sehen. Das geht aber nicht. Seine voluminöse Sonnenbrille mit den feinen Gläsern verhindert jeden Blickkontakt. Blickkontakt heißt: Ich sehe dich, du siehst mich. Er sieht mich, ohne Frage. Wenn er will.

Auf dem Kopf sitzt Markenzeichen Nummer zwei, ein Hut. Der heute ist mittelbraun. Die Krempe verbirgt die Schädeldecke bis tief in die Stirn. Zusammen mit der Brille ergibt sich eine fast fugenlose Wand aus passivem Widerstand gegen die Außenwelt. Udo Lindenberg hat die Muskelpartie um Augenbrauen und Stirn dermaßen gut unter Kontrolle, dass er sein Gesichtsfeld allein durch Kontraktion der Haut vergrößert oder verengt. Dann hebt und senkt sich sein Hut wie von Geisterhand bewegt. Das hat etwas Urtierhaftes oder Futuristisches, je nach Perspektive. Der Hut ist ein Körperteil.

Ich habe ihn also nicht gesehen, jedenfalls nicht seine Augen. Aber gehört habe ich ihn. Dazu musste ich die Ohren spitzen, denn Udo spricht sehr leise und sehr tief hinten in der Kehle. Seine Sätze wirken wie wundersamerweise von einem Brand oder einer Überschwemmung verschont gebliebene Gobelins in einem vor langer Zeit kaputtgegangenen Haus. Sie sind oft sehr schön. Andere hängen wie abgelöste Tapetenstreifen von der Wand, ihr innerer Zusammenhang ist verloren gegangen.

Wir haben uns nicht allein getroffen. Uns gegenüber saß Tine Acke, die alles sein will, nur nicht seine Muse. Sie ist sehr jung, ihre schönen Augen sind mit viel grüner Farbe geschminkt, das Haar ist hier blond und da schwarz und steht in alle Richtungen. Tine Acke sieht aus wie ein Designerpunkmädchen. Sie bestellt sich Mozzarella mit Tomaten ohne alles und einen Rooibustee. Auch Udo trinkt Tee. Seine Hand zittert nicht, aber wenn er die Tasse abstellt, schwappt Tee aus der Tasse. Er scheint es nicht zu bemerken. Auch dass die Asche von der Zigarre, deren Rauch er tief inhaliert, auf den Teppich fällt, stört ihn nicht.

Die beiden sind, wie es heißt, ein Paar. Getrennte Wohnungen, man ist "irre unterschiedlich" (Tine), jeder macht seine Sachen. Spätere Heirat ausgeschlossen. "Wir telefonieren viel und sehen uns eigentlich auch oft." Keiner der beiden sagt Liebe, wenn er über den anderen spricht. Als sie für den Fotografen auf dem Sofa nebeneinander sitzen, weiß Tine nicht, wohin mit ihren Händen. Sonderbar ferne Nähe.

Sie haben sich ein paar Journalisten zu Interviews bestellt, weil Tine Acke ein gut 300 Seiten dickes Fotobuch gemacht hat: "Stark wie Zwei". Darin sind Aufnahmen aus den Jahren 2007 bis 2010 versammelt, Fotos zur Platte "Stark wie Zwei", die 2008 erschien, und vom sich unverhofft anschließenden goldenen Lebensherbst des Udo L. Der Erfolg des Albums stellte damals alle Erwartungen in den Schatten und transformierte den Paten der deutschen Rockmusik, den man seit Jahren eigentlich nur noch als mit Eierlikör malendes, verwitterndes Original mit Wohnsitz Hotel Atlantic auf dem Schirm hatte, in eine Lichtgestalt, wie es noch keine gab in Deutschland. Der schon erledigt Geglaubte startete ein Comeback, das ihm die erfolgreichste Hallentournee seiner über 40 Jahre währenden Karriere bescherte.

Lindenberg zählt diese letzten Jahre "zu den schönsten meines Lebens". Und Tine Acke, "meine Schattenfrau", hat alles fotografiert: Plattensessions, Videodrehs, die Tournee, Backstage-Momente, eine Reise nach Florida zum Raumfahrtzentrum der Nasa und die Schiffstour mit dem "Rockliner".

Er rühmt ihre Fähigkeit, ihn in Momenten abzulichten, in denen er nicht post. Ich bitte ihn, mir Bilder im Buch zu zeigen, auf denen er nicht post. Er blättert abwesend, deutet dann auf Liveaufnahmen. Er im Scheinwerferlicht vor dem Mikroständer. "Da wusste ich nicht, dass sie fotografiert." "Udo post eigentlich immer", korrigiert Tine. "Ich habe ihn so fotografiert, wie er ist. Wie er sich sehen will."

Ein Ikonenbildband also. Der Rock-'n'-Roll-Ritter-Kreuzfahrer-Astronaut, auferstanden aus Ruinen durchsoffener Wochen, in denen das "nasse Gold" (Lindensprech) ihn über die Verzweiflung über seine schwindende Bedeutung hinwegtrösten sollte. Aus dem Sumpf geholfen haben ihm Freunde. "Stark wie Zwei" enthält keine Fotos seiner düstren Zeit. Die gebe es, sie blieben aber unter Verschluss. "Das hier ist ein Feierbuch", sagt Udo.

Zum Abschied hält er meine Hand, länger als nötig, wärmer als erwartet. Bei diesem zarten älteren Herrn, der schon viele Leben gelebt und hinter sich gelassen zu haben scheint, sind nicht die Augen das Fenster zur Seele. Es sind seine Hände.

Udo Lindenberg: "Stark wie Zwei: 2007 bis 2010" Fotografien von Tine Acke. Schwarzkopf & Schwarzkopf, 49,95 Euro