Wolf Biermann und Liao Yiwu trafen sich gestern in Berlin. Beim Chinesen

Konfuzius sagt, die Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel. In diesem Fall sind es die Essstäbchen, mit denen es Dilettanten zwar gerade noch gelingt, etwas in den chinesischen Feuertopf hineinzuwerfen, mit dem aber nur Könner die Fischkugeln wieder herausangeln und anschließend noch elegant in Sojasauce tauchen können. Wolf Biermann ist keiner. Als sein Teller schon aussieht wie ein Schlachtfeld, nimmt er die Gabel. Zum Teufel mit der chinesischen Etikette, schließlich ist man in Berlin.

Es ist früher Nachmittag, und im Chinarestaurant Nin Hao hat man keine Ahnung, dass sich gerade Historisches abspielt. Vor ein paar Wochen sei hier ein Film gedreht worden, erzählt die Besitzerin aufgeregt, als sie die Fotografin sieht. Liao Yiwu erkennt sie nicht. Und Biermanns Gesicht sagt ihr offenbar auch nichts. Dass sich in ihrem Restaurant an diesem Tag zwei berühmte Dissidenten getroffen haben, wird sie vermutlich nie erfahren.

Zur Begrüßung ist Biermann auf den gut 20 Jahre jüngeren Schriftstellerkollegen zugegangen und hat ihn umarmt. Fest. Fast so ein bisschen in der alten Breschnew-Manier, die in China inzwischen auch aus der Mode gekommen ist. Und Liao hat erst ein bisschen erstaunt geguckt, dann aber geistesgegenwärtig zurückgedrückt. Vermutlich wird er später in China erzählen, dass das im fernen Berlin noch so gemacht wird - vorausgesetzt, sie lassen ihn wieder einreisen.

Zwei Stunden dauert das Treffen der beiden Männer, die 7400 Kilometer voneinander entfernt dasselbe erlebt haben. Biermann in der DDR, Liao in der Volksrepublik China. Beide können ein Lied davon singen, wie sich das Leben in einer Diktatur anfühlt. Als Biermann von einem "Witz" berichtet, den ihm Ende der 60er-Jahre ein chinesischer Funktionär in Ostberlin erzählt hat - "Da ist eine Brücke, und über diese Brücke laufen die Leute, und in der Mitte ist ein Loch, und da fallen die Leute alle runter ..." -, ist Liao der Einzige, der nicht geniert oder schockiert wirkt.

Vielleicht hat Peking Liao ja tatsächlich ausreisen lassen, um die Zeilen zu widerlegen, die Biermann im März unter dem Titel "Drei Worte und zwei Liedstrophen für den Dichter Liao Yiwu in China" im Abendblatt veröffentlichte. Nach dem Motto: "Sag bloß mal einen wahren Satz / Dann kriegst du einen vor den Latz / In China! In China!" Vielleicht auch nicht.

Auf jeden Fall ist es schön, dass er jetzt da ist. Der Mann aus Chengdu.