“Reckless. Steinernes Fleisch“ heißt der neue Roman von Cornelia Funke, der heute erscheint. Ein verwegener Weg ins Märchenreich.

London. Zur Begrüßung springt sie vom Café-Tisch auf, ungeschminkt, mit strahlenden Augen. Cornelia Funke, der deutsche Star der internationalen Kinderbuchszene , ist vom ersten Moment an offen und zugänglich wie eine alte Freundin. Im Gespräch mit dem Abendblatt erzählt sie von Wendepunkten, von den Freuden des Erfolgs und der Arbeit an ihrem neuen Roman "Reckless", in dem die gefeierte Fantasy-Autorin und ihr Koautor Lionel Wigram ihre Leser in die Welt der grimmschen Märchen entführen.

Abendblatt:

Frau Funke, Sie gelten als die erfolgreichste deutsche Kinderbuchautorin, aber als Schriftstellerin bezeichnen Sie sich nicht. Ist das Koketterie?

Funke:

Ich bin Geschichtenerzähler. Als Kind hab ich nie geschrieben, sondern meinen Brüdern "Enterprise"-Folgen erzählt. Schriftstellern geht es oft darum, sich selbst auszudrücken.

Sie sind berühmt geworden mit Fantasy-Büchern, besonders mit der "Tintenherz"-Trilogie . In "Reckless" reisen Sie mit Ihrem Helden Jacob in die Welt der grimmschen Märchen. Er hat Feen und Zwerge zu Verbündeten. Was bedeutet Ihnen das Fantasy-Schreiben?

Funke:

In dem Moment, wo ich etwas verkleide, wo ich es durch eine andere Brille sehe, sehe ich es neu. Wir haben fast verlernt, bildlich zu erzählen. Aber ein Bild oder eine Farbe oder eine Landschaft kann für ein Gefühl stehen. Sie können etwas ausdrücken. Mythen und Märchen funktionieren sehr häufig so.

Im Märchen ist ja alles möglich. Wo haben Sie da die Grenze gezogen?

Funke:

Wir mussten uns klar werden: Wie sind in dieser Welt die Naturgesetze? Im Märchen werden dauernd Leute vom Tod zurückgeholt. Da werden Köpfe wieder draufgesetzt, da kochen sie einen wieder ganz - ich habe bestimmt 15 Methoden gefunden. Der Sinn des Märchens ist ja, zu beschreiben, dass wir uns im Leben immer wieder neu gebären. Worin eine ganz tiefe Wahrheit liegt.

Sie haben selbst einen dramatischen Umbruch erlebt, als Ihr Mann starb.

Funke:

Meinen besten Freund und Gefährten zu verlieren hat mein Leben radikal umgekehrt. Wir waren ja immer zusammen. Mir haben Freunde gesagt: Du warst nicht 27, sondern 54 Jahre verheiratet. Und dann ging es so schnell. Ende Januar 2006 bekam er die Diagnose, Anfang März starb er.

Das sind nur sechs Wochen. Da hatten Sie kaum Zeit, sich darauf einzustellen.

Funke:

Nein. Die ersten Monate nach seinem Tod hatte ich das Gefühl, ich bin jetzt halb. Das wird so bleiben, damit muss ich jetzt zurechtkommen. Erst jetzt fühle ich mich wieder ganz.

Können Sie sich erinnern, wann Sie empfunden haben, ich lebe weiter?

Funke:

Das war nach ein paar Monaten. Da merkte ich, ich lächle auch mal wieder morgens, ich freue mich auf andere Menschen. Ich hatte mich durch den Schmerz so geöffnet, dass auch die positiven Gefühle unglaublich intensiv waren. Es gab keine Nichtigkeiten, in denen wir uns alle dauernd verlieren. Alles war voller Bedeutung.

Danach sehnen wir uns ja alle.

Funke:

2006 war ein magisches Jahr für mich. Irgendwann konnte ich denken, jetzt fängt dein neues Leben an. Und bei dem ersten Essen, zu dem ich hingegangen bin, habe ich Lionel Wigram kennengelernt, mit dem ich dann "Reckless" geschrieben habe.

Wie macht man das, jemanden in die eigenen Fantasieräume einzubeziehen? Das stelle ich mir limitierend vor.

Funke:

Das hab ich zuerst auch gedacht. Aber dann hatte ich das Gefühl, dass unsere Zusammenarbeit dem Ursprung des Erzählens ganz nah kam. Vielleicht fing es so an: Zwei Menschen saßen zusammen am Feuer und vertrieben sich die Angst vor der Nacht damit, Geschichten zu spinnen.

Und wie ist das, wenn zwei Erzähltemperamente aufeinanderprallen?

Funke:

Ich schweife zu gerne ab und verliere mich in 1000 Figuren. Aber wenn ich anfing zu fantasieren: "Da sind die beiden Brüder, und da - oh! läuft da vielleicht ein Heinzelmann vorbei?", rief Lionel: "Schreib so viele Heinzelmänner, wie du willst, aber ich will wissen, was mit den Brüdern ist!"

Haben Sie auf Englisch geschrieben?

Funke:

Das hab ich versucht. Ein Desaster! Im Englischen weiß ich überhaupt nicht, welche Regeln ich brechen kann. Also haben wir parallel übersetzen lassen. So hatten wir gleich eine englische Fassung. Dadurch hatten wir ein deutsches und ein amerikanisches Lektorat. Im Endstadium arbeiteten wir zu fünft an dem Buch.

Von solchen Bedingungen können die meisten Autoren nur träumen.

Funke:

Ja, das sind fantastische Arbeitsbedingungen.

Wird das Leben schöner durch Erfolg?

Funke:

Mein Leben hat er sehr bereichert. Ich möchte mein altes Leben nicht wiederhaben. Das jetzige ist so anregend, es explodiert mir im Kopf!

Was bedeutet Ihnen das Materielle?

Funke:

Reichtum macht nicht glücklicher. Aber er macht das Leben leichter. Ich kann meinen Kindern gute Schulen bezahlen, ich habe eine Assistentin, ich muss nicht gucken, wann ist es am günstigsten, sondern kann spontan eine Reise buchen.

Fliegen Sie nur noch erster Klasse?

Funke:

Nein, Business.

Was sind denn Ihre Laster?

Funke:

Oh! Ich liebe schöne Autos! Abends guck ich mit meinem Sohn ein Automagazin, und wir schwärmen dann von Aston Martins und Ferraris - aber dann sag ich mir, also nun übertreib's mal nicht, Cornelia, du bist 51, jetzt steigst du nicht auf Ferrari um.

Das machen Sie mit 65.

Funke:

Ja, das wär schon wieder lustig! Aber dann nehm' ich doch den Aston Martin.

Cornelia Funke liest auf Einladung der Buchhandlung Heymann am 23.9. um 18 Uhr im Schauspielhaus aus "Reckless". Karten zu 9,- unter T. 48 09 30