Hamburg. Es gibt viele Wege, sich aus einer bedrückenden Wirklichkeit davonzustehlen. Jacob Reckless tauscht seine gegen die Märchenwelt des 19. Jahrhunderts. Immer seltener kommt er zurück in die Gegenwart, in das New Yorker Apartment. Es ist ihm gar nicht recht, dass ihm sein kleiner Bruder Will schließlich in die "Spiegelwelt" folgt. Und in der Tat geraten die beiden in eine ganze Reihe haarsträubender Abenteuer.

Es ist kein Zufall, dass die Namen der Brüder an Jacob und Wilhelm Grimm erinnern. Cornelia Funke, die mit den Büchern ihrer "Tintenherz"-Trilogie jahrelang auf den Bestsellerlisten stand, hat für ihren neuesten Roman, "Reckless. Steinernes Fleisch", eine ganz andere Welt gefunden: die der Märchen des 19. Jahrhunderts und ganz besonders der Brüder Grimm.

Natürlich erhofft sich die Branche einen ähnlichen Boom wie bei den Tintenbüchern. So wird kaum zwei Monate nach dem Erscheinen von "Reckless" schon die Bühnenfassung des Werks am Thalia-Theater Premiere feiern.

Funke und ihr Koautor, der Filmproduzent Lionel Wigram, stellen gemeinsam ihr Händchen für spannende Plots unter Beweis. Anders als die Tintenbücher konzentriert sich "Reckless" ohne große Umschweife auf die Haupthandlung: In Will wächst jenes steinerne Fleisch, von dem der Untertitel spricht. Wenn seine Haut erst vollständig aus Stein ist, wird er zu den unheimlichen Goyl gehören und für die Menschen verloren sein. Seine einzige Chance ist, dass Jacob in der "Spiegelwelt" bestens vernetzt ist. So helfen den Brüdern ein Mädchen, das meist in Fuchsgestalt auftritt, oder gute Feen; vor den zahlreichen Feinden retten sie häufig nur Jacobs Gewitztheit oder märchenhafte Zufälle.

Für den Geschmack nicht ganz so hartgesottener Fantasy-Jünger mag die Handlung allzu häufig durch etwas Übernatürliches - und dementsprechend für den Leser Unvorhersehbares - vorangetrieben werden. Was aber bleibt, ist der Eindruck einer schlüssig, spannend und immer wieder hochpoetisch erzählten Geschichte für jugendliche Leser. Klar, dass am Schluss die Tür einen Spalt breit offen stehen bleibt. Funke und Wigram arbeiten schon an der Fortsetzung.