Es war das Woodstock von Norddeutschland. Vor 40 Jahren fand das “Love & Peace“-Festival auf Fehmarn zum ersten Mal statt.

Fehmarn. Es regnet. Seit Stunden schon. Und selbst wenn sich am ersten Septemberwochenende 1970 mal kurz die Sonne zeigt, zerren Windböen der Stärke acht an den Nerven der Besucher des "Love & Peace"-Festivals auf Fehmarn . Angekündigt als europäische Antwort auf Woodstock, ist das Festival nicht nur eines der ersten auf deutschem Boden. Es entwickelt sich auch organisatorisch zur Katastrophe.

Nikel Pallat, damals 25 und später Mitglied der Band Ton Steine Scherben, ist einer von etwa 30.000 Fans, die in der Hoffnung gekommen sind, zahlreiche Spitzenbands live zu erleben. Dass viele, darunter Ten Years After, Procul Harum, Taste und Colosseum, nie auftauchen werden, weiß Pallat nicht, als er am Freitagabend mit seinem Fiat 500 aus Berlin eintrifft. Aber die Zeichen, dass hier etwas nicht stimmt, mehren sich schnell. Immer wieder muss Moderator Alexis Korner mit langen Ansagen und eingestreuten Songs über endlos erscheinende Pausen zwischen den Auftritten hinwegtrösten. Wer wann spielt und mit wem überhaupt noch zu rechnen ist, lassen die Veranstalter im Dunkeln. Schließlich haben sie schon genügend Brände hinter der Bühne zu löschen. Und das nicht nur im übertragenen Sinne.

Naivität, mangelnde Erfahrung, Pech: An den drei Festivaltagen vom 4. bis zum 6 September kommt einiges zusammen. Mit 60.000 Besuchern hatten die Veranstalter gerechnet und kräftig die Werbetrommel gerührt. Zwei psychedelisch bemalte Kleinbusse waren mit 100.000 Plakaten europaweit unterwegs gewesen. Zudem hatten die Macher einen Sponsoring-Deal mit Beate Uhse an Land gezogen, die die Tickets in ihren Sexshops verkaufen ließ und zusätzlich 200.000 D-Mark vorschoss. Doch die reichten längst nicht, um die ausufernden Kosten aufzufangen. 30.000 Mark verschlingt allein die Tonanlage, 70.000 Mark kassiert Headliner Jimi Hendrix . Hinzu kommen die Kosten für die Anmietung des Festivalareals am Flügger Strand und eines nahe gelegenen Campingplatzes, für den Bühnenaufbau, die Mobiltoiletten etc. Dass sich viele Besucher durch Zaunlöcher kostenlos Einlass verschaffen, verschärft die Situation noch weiter.

Und dann sind da noch die Rocker. Von "150 aggressionsgeladenen Schlägern" berichten die Abendblatt-Reporter damals, von "schwarzen Banden" und ihrer "Diktatur roher unberechenbarer Gewalt". Die bekommt vor allem das Veranstaltertrio zu spüren, das, stark eingeschüchtert, die mit Messern und Fahrradketten ausgerüstete Truppe notgedrungen als Ordner engagiert. Als es später wegen der finanziellen Schieflage Probleme gibt, die Rocker auszuzahlen, werden Baracken zertrümmert und Brände gelegt.

Von diesen Auseinandersetzungen bekommt Nikel Pallat allerdings nichts mit. Er lässt sich vom furiosen Auftritt der Funkrock-Band Sly & The Family Stone begeistern und nimmt Verzögerungen geduldig hin. "Wir waren ja alle Festival-Neulinge", erinnert er sich. "Heute würden sich die Leute natürlich nicht mehr so vorführen lassen." Die Belohung für seine Geduld bekommt er schließlich am Sonntagmittag, als tatsächlich Jimi Hendrix auf die Bühne tritt. Der Gitarrist hatte schon am Abend zuvor spielen sollen, aber weil wegen des Dauerregens auf der Bühne Stromschlag-Gefahr bestand, wurde der Auftritt, übrigens der letzte vor seinem plötzlichen Tod am 18. September 1970, auf den nächsten Tag verschoben. "Viele hatten einen wilden Mann erwartet", erzählt Pallat, "aber das Konzert war unheimlich entspannt."

Ganz so entspannt geht es am letzten Festivaltag allerdings nicht weiter. Nur drei Stücke spielt die Band Rote Steine, aus denen wenig später Ton Steine Scherben wird, doch als "Macht kaputt, was euch kaputt macht" erklingt, nehmen das die verbliebenen Rocker hinter der Bühne wörtlich.

Zu diesem Zeitpunkt sind die Veranstalter längst vom Gelände geflohen und auch ein Großteil des Publikums hat die Insel verlassen. Zurück bleiben Schulden in sechsstelliger Höhe und die Entscheidung des Fehmarner Gemeinderates, künftig keine Festivals auf der Insel mehr zu genehmigen. Ein Beschluss, der 25 Jahre lang Bestand hat.

Die Faszination, die das legendäre "Love & Peace"-Festival ausübt, ist allerdings ungebrochen. Auf Fehmarn erinnert heute ein großer Gedenkstein an den letzten Auftritt von Jimi Hendrix, und der Hamburger Musiker Olve Strelow betreibt eine umfangreiche Webseite ( www.fehmarnfestival1970.com ) zum Thema. Die zeigt: Früher war gewiss nicht alles besser, aber eben ganz anders als bei den perfekt organisierten Festivals dieser Tage.