Ein Kommentar von Tino Lange

Wer einen Blick in Katja Wittensteins Buch "Von Musikern, Machern & Mobiltoiletten. 40 Jahre Open Air Geschichte" wirft, der staunt über unfassbare Geschichten. Die Naivität, mit der die Pioniere der deutschen Festivalveranstalter vor vier Jahrzehnten versuchten, ihr eigenes Woodstock auf die Beine zu stellen, ist so beeindruckend wie erschreckend.

Beispielhaft war das "Love-and-Peace"-Festival 1970 auf Fehmarn, das heute vor 40 Jahren begann und nicht nur mythisiert wird, weil Jimi Hendrix dort den letzten großen Auftritt vor seinem Tod hatte, sondern auch durch amateurhafte Organisation und Ausschreitungen, befeuert von Rio Reisers "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Genau sieben Jahre später ging es beim "First Rider Open Air" auf dem Eichenring in Scheeßel ähnlich hoch und heiß her wie auf Fehmarn. Zwei Dekaden sollte es dauern, bis dort beim ersten "Hurricane-Festival" wieder gerockt wurde.

Heute sind "Hurricane-Festival" oder "Rock am Ring" professionell organisiert. Und auch wenn schon kleinste Abweichungen wie der durch zu starken Andrang abgebrochene Auftritt von Frittenbude in Scheeßel eine Agenturmeldung wert sind: Erinnern wird man sich in 40 Jahren nicht daran. Die Entmythisierung von Festivals ist der Preis unserer Zeit. Wir zahlen ihn gern, bevor wie in Duisburg Menschen sterben müssen.