Schorsch Kamerun über sein Theaterstück “Vor uns die Sintflut“, das am Sonnabend im Thalia-Zelt Premiere hat und die Frage, Berlin oder Hamburg?

Hamburg. Mit der Uraufführung von „Vor uns die Sintflut – Von fliehenden Kreuzfahrern und seeräubernden Weltenbummlern“ eröffnet das Thalia-Theater die neue Spielzeit im Thalia-Zelt in der HafenCity. Inszeniert wird diese illustre Schiffsreise von Schorsch Kamerun. Kamerun zeigt darin, was passiert, wenn auf einem Luxusliner plötzlich eine Flüchtlingsschar Einlass in die exklusive Gesellschaft der Reisenden fordert und ein staatenloser Matrose ohne Papiere zum Eindringling wird. Hermetisch abgegrenzte Bereiche werden auf einmal durchlässig.

Schorsch Kamerun wurde als Gründungsmitglied der Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen bekannt. Der 1963 in Timmendorfer Strand geborene Künstler betreibt in Hamburg zusammen mit Rocko Schamoni und Wolf Richter de Golden Pudel Klub. Seit einigen Jahren arbeitet Kamerun auch am Theater. Er hat unter anderem am Deutschen Schauspielhaus, an der Berliner Volksbühne, an den Münchner Kammerspielen und bei der Ruhr-Triennale meistens politische Theaterprojekte in Szene gesetzt. Im Interview erzählt er von seinem Thalia-Projekt und warum er nach vier Jahren von München nach Hamburg zurückgekehrt ist.

Abendblatt: Ist Hamburg ein guter Ort, um den Clash zwischen Oberschicht und Unterschicht zu zeigen?

Schorsch Kamerun: Die Stadt eignet sich zur Metapher. Hier sollen ja die meisten Millionäre Deutschlands leben, und St. Pauli war bis vor kurzem einer der ärmsten Stadtteile Europas. Gegensätze liegen hier sehr nah beieinander. Wie auf einem Schiff. Du hast das Oberdeck und gleich darunter die Dritte Klasse oder die Mannschaft, die man meist nicht sieht.

Inwieweit folgt Ihr Projekt dem Fellini-Film “Schiff der Träume“?

Die Aufstellung ist ähnlich wie bei Fellini, aber wir spielen keinen Film nach. Ein Schiff ist erstmal ein Ort, der sicher scheint. Man kann damit zum Beispiel nach Afrika reisen, ohne Afrika betreten zu müssen

Wie kommt die Textfassung bei so einem Projekt zustande?

Manchmal komme ich mit einem Text an, manchmal mit nichts. Es gibt einen Einflusstopf. Daraus wird dann mit dem Ensemble etwas zusammengebastelt. Bei “Vor uns die Sintflut“ existiert für meine Verhältnisse schon viel von einem klassischen Schauspielstück. So gibt es einen Protagonisten, dem der Pass abhanden gekommen ist. Etwas, was jedem passieren kann. Wir untersuchen was es bedeutet, seine Identität nicht dokumentieren zu können. Ein Thema des Abends ist die “Festung Europa“, also die Abschottung gegenüber der so genannten “Dritten Welt“.

Wird es ein provokativer Abend?

Ich gehöre nicht zu denen, die im Theater besonders schrill arbeiten. Vielleicht erwartet man das, weil ich aus der Punk-Szene komme. Christoph Schlingensief hat manchmal sinnvoll provoziert, weil er Probleme auf sich bezogen hat und sie dann ungefiltert zurück geworfen hat. Ich möchte dieses drängende Thema “Mensch ohne Ausweis“ zugänglich machen. “Vor uns die Sintflut“ entwickelt sich in Richtung Komödie, in der wir eine überdekadente Gesellschaft zeigen.

Kann man mit Theater aufwecken?

Ich habe jahrelang am Züricher Schauspielhaus bei Christoph Marthaler erlebt, dass das geht. Ich bin selber über Kunst politisiert worden, nämlich über Punk. Aber nur sehr selten ruft Kunst auch eine Bewegung hervor, kann aber mindestens guter Verstärker sein.

Wie kam es dazu, dass Sie jetzt zum ersten Mal am Thalia-Theater arbeiten?

Ich kenne die Chefdramaturgin Beate Heine, mit der ich in Hannover zwei Projekte realisiert habe. In Hamburg habe ich zuletzt am Schauspielhaus bei Tom Stromberg inszeniert und davor 2000 mein erstes Stück überhaupt.

Sie haben an vielen großen deutschen Theatern gearbeitet. Wo haben Sie die besten Bedingungen vorgefunden?

Die Bedingungen an Stadttheatern sind zweifellos luxuriös geschützte Möglichkeiten. Ich bin aber für staatliche Subventionen, auch wenn klar ist, dass der aufzuteilende Kuchen Ungerechtigkeiten in sich birgt. Ich habe nur ein Problem mit zunehmenden privatwirtschaftlichen Investitionen bei öffentlichen Institutionen, weil ich glaube, dass solche privaten Engagements zu gefährlichen Einflussnahmen führen können. Das reicht von Atomkraftwerkbetreibern bis zum Stadttheatersponsoring.

Nach vier Jahren in München sind sie jetzt nach Hamburg zurückgekehrt. War Berlin auch eine Option?

Ja. Vielleicht ist Berlin im Moment die interessanteste Stadt der Welt. Für Zwanzigjährige. Die Freiräume in Hamburg sind kleiner geworden, das stimmt schon. Aber dafür kann man hier mit Einmischen immer noch viel bewegen. Berlin ist da unübersichtlicher.

Warum gehen dann so viele Künstler von Hamburg nach Berlin?

Bei den meisten sind es doch private Gründe. Natürlich kann man seinen Weggang mit der widersprüchlichen Kulturpolitik thematisieren. Nicht nur ich erlebe diese Stadt derzeit als politischen Sauhaufen, in der selbst die Grünen eine Linie fortschreiben, die mal konkret bei Schill begonnen hat. Dennoch empfinde ich die Situation hier ganz insgesamt als eher aufregend und mit offenem Ausgang.

Ist die Entwicklung im Gängeviertel ein Indiz für einen Umschwung in der hiesigen Kulturpolitik?

Ich habe schon das Gefühl, dass eine Menge Menschen in Hamburg etwas erreichen können, wenn ihnen der Kragen platzt. Das ist auch einer der Gründe, für mich hier zu leben. Um Mitzugestalten. Man kann in Hamburg etwas erreichen aus einem starken Gemeinsamen heraus. Oder zumindest wirksame Stopp-Schild aufstellen. Das “Gänge-Viertel“ ist so ein Beispiel.

Der neue Kultursenator ist schon kritisiert worden, bevor er überhaupt sein Amt angetreten hat. Was erwarten Sie von ihm?

Man wird sehen. Die Findungsvorgänge erscheinen schon als bizarr bisweilen. Ich brauche das aber nicht vorab verlässlich einschätzen. Ich bin Künstler, ich darf mich anarchistisch geben und muss nach radikalen Freiräumen suchen, ohne dafür Verantwortung zu übernehmen. Deshalb ist es von meinem Standpunkt aus unsinnig zu spekulieren, oder ob ich so oder so “kulturell regieren“ würde.

Welche Reaktion erwarten Sie bei der Premiere von “Vor uns die Sintflut“?

Theater lässt sich schwer planen. Ich gehe da angstfrei hin und erwarte erst mal gar nichts. Natürlich würde ich mich freuen, wenn wir unser Anliegen verständlich vermitteln können. Aber, auch die größten Meister haben sich schon die dümmsten Klöpse geleistet im Theater. Wir müssen unseren bisher ungespielten Text erst mal beweisen. Wenn ich Tschechows “Drei Schwestern“ inszeniere, fragt keiner, ob der Text gut ist oder nicht. Wir arbeiten mit aktuellen, ungeprüften Ansätzen. Da ist die Gefahr des Scheiterns größer.