“Pianomania“, ein Film über die Arbeit des Hamburger Klaviertechnikers Stefan Knüpfer, wird weltweit gefeiert, nun startet er in Deutschland.

Wirklich normal ist eigentlich niemand in diesem liebenswürdig irren Film. Nicht der mit Sonderwünschen bombardierte Hausmeister des Wiener Konzerthauses, dessen Stirn sich wegen solcher Extrawurst-Bestellungen, am liebsten kurz vor Feierabend, schon längst nicht mehr kräuselt. Nicht die Handwerker, die in der Steinway-Manufaktur aus Tausenden von Einzelteilen Präzisionsinstrumente herstellen, die wegen ihrer individuellen Stärken und Schwächen eigentlich Vornamen tragen sollten und keine Nummern.

Auch der Pianist Pierre-Laurent Aimard, der sich ein Jahr vor der CD-Aufnahme seine Interpretations-Absichten für Bachs "Kunst der Fuge" penibel in ein Notizbüchlein einträgt, darf für grundsätzlich sehr anders tickend gehalten werden. Ebenso sein Kollege Alfred Brendel, der - nervös wie ein Rennpferd kurz vor dem Startschuss - auf dem Klavierhocker sitzt, während direkt neben ihm noch letzte Feinheiten in den sensiblen Innereien seines künstlerischen Mediums gerichtet werden. Einer wie Brendel tut dann nichts anderes mehr, der will dann nur noch spielen. All das macht jeden von ihnen ja erst so sympathisch.

Letzte, kleine, fast unhörbare Details, jene hauchdünne Schicht, die "schon sehr gut" von "wirklich überragend" trennt, darum geht es in diesem Dokumentarfilm mit dem schönen Titel "Pianomania", der am 9. September in die Kinos kommt. In Großbritannien hat er bereits Premiere gefeiert, "ein kleiner Film mit großen Schwüngen", lobte der "Guardian" und beschrieb Menschen, die unter Freudentränen die Vorstellung verließen. Beim Internationalen Filmfest von San Francisco gewann "Pianomania" den Golden-Gate-Award, in Locarno gab es Standing Ovations. Im Film geht es um klassisch verrückte Künstler, um weitgehend untherapierbare Borderline-Persönlichkeiten - vor, hinter und neben der Bühne. Um Profis wie den Klaviertechniker Stefan Knüpfer, der hin und wieder das Radio ausschalten muss, weil er den Klang des Klaviers nicht erträgt.

Die Filmemacher Lilian Franck und Robert Cibis nehmen ihr Publikum mit hinter die Kulissen des Konzertbetriebs, dorthin, wo noch gearbeitet, gefeilt, gehobelt, geschraubt und vor allem an allem gezweifelt wird, bevor gespielt werden kann. Sie zeigen einen dieser unverzichtbaren Experten, die man als normaler Zuhörer erst dann wahrnimmt, wenn live und vor aller Ohren etwas schiefgegangen ist.

Knüpfer ist ein manischer Perfektionist, den einige Bruchteile von Millimetern mühelos um den Schlaf bringen können, wenn sie irgendwo in dieser hochgezüchteten Musikmaschine Konzertflügel fehlen. Und moderne Flügel haben elend viele Stellen, an denen so etwas jederzeit möglich sein kann. Irgendwas ist ja immer. Und was nicht wirklich vorhanden ist, kann man sich ja immer noch einbilden.

Als Steinway-Cheftechniker in Wien, im Allerheiligsten der klassischen Musikwelt , hat der gebürtige Hamburger Knüpfer täglich Operationen am offenen Herzen durchzuführen, während die Patienten ihm unentwegt dazwischenreden oder mit Verbesserungsvorschlägen am Nervenkostüm zerren. Er muss Star-Pianisten und solchen, die sich dafür halten, mit Engelsgeduld und Leidensfähigkeit jeden Wunsch von den Fingern ablesen, denn er ist dafür da, ihr Können im Rampenlicht erstrahlen zu lassen. Nur die wenigsten von ihnen leisten sich noch den Luxus, mit einem eigenen Instrument (oder, wie weiland Horowitz, sogar mit eigenem Klaviertechniker) durch die Welt zu reisen. Alle anderen müssen spielen, was gerade da ist, wo immer sie ihr Terminkalender auch hinbeordert. Dort können sie nur hoffen, dass jemand wie Knüpfer in Rufweite ist.

Sobald Musiker mit Vokabelkrücken wie "Der Ton atmet nicht" versuchen, ihr klangliches Ideal zu umschreiben, muss Knüpfer verstehen, was sie damit wohl meinen könnten. Einmal, zweimal, so oft wie eben nötig. Wenn jemand wie Aimard ganz freundlich lächelt, aber dann mit dem einen Wort "Frage ..." alles auf den Prüfstand stellt, weil ein Obertönchen ganz knapp nicht dort schwingt, wo er es gern hätte - da braucht es Nerven wie Basssaiten.

Als ihm ein japanischer Kollege zeigte, dass er einen Staubklumpen im Resonanzboden eines von Knüpfer betreuten Flügels gefunden hat, sagte der ihm mit strengem Unterton, er solle den Staub nur ja wieder genau dorthin zurücklegen, wo er herkommt. Das kann nur ein leicht verschrobener Spaß unter Experten gewesen sein. Muss aber nicht. Die Grenzen zwischen Wahrheit und Wahn sind da fließend. In einer Szene beim Musikfestival in Grafenegg bittet Julius Drake, der Klavierbegleiter des Tenors Ian Bostridge, Knüpfer darum, den Flügel bis zum Konzertbeginn mit "a little magic" zu versehen. Solche Unmöglichkeiten erledigt jemand wie Knüpfer sofort, Wunder dauern höchstens etwas länger. Und wenn eine anstrengende Aufnahmesitzung mit Bach-Fugen unbefriedigend überstanden ist, überrascht Knüpfer am nächsten Morgen den Produzenten und seinen Tontechniker mit einem Geschenk seiner Frau: einem zum Vortagsergebnis passenden Käsekuchen.

Der Ton macht die Musik? "Pianomania" zeigt mit liebevoller Hingabe und einer Extraportion Engelsgeduld, wie wahr dieses Sprichwort ist.

Preview: 6. September, 19.30 Uhr, Abaton, mit Regisseur Robert Cibis. Infos: www.pianomania.de