Da muss man doch bestimmt gescheit reden. Oder etwas kaufen. Viele Menschen scheuen sich davor, eine Galerie zu betreten. Warum eigentlich?

Hamburg. "Wenn ich in ein teures Schuhgeschäft gehe, probiere ich 20 Paare an und kaufe dann vielleicht doch keins. Bei einer Galerie ist es genauso: Da sehe ich mir die Bilder an, ohne gleich das Portemonnaie zu zücken." Schwellenangst kennt Christine Kasper nicht. Sie arbeitet in einer Galerie in Pöseldorf und kennt die Gepflogenheiten. Vielen Menschen fällt der Schritt in eine Galerie jedoch nicht leicht, obwohl sie kunstinteressiert sind. Dahinter steht die Scheu, einen leeren Raum zu betreten. Oder die Angst, angesprochen zu werden - und dann nichts Gescheites sagen zu können. Oder das Gefühl, irgendetwas kaufen zu müssen. Warum eigentlich?

In der Galerie von Robert Morat zieht ein verträumtes Mädchen die Blicke auf sich. "Violetta by the Lake", von Jessica Backhaus fotografiert, hängt hinter der großen Schaufensterscheibe, die den Blick auf das Innere der Räume freigibt. Sie sind leer. Auf der Straße schlendert eine junge Frau vorbei und bleibt stehen. Sie betrachtet die Fotografie genau, dann geht sie zum nächsten Schaufenster und blickt hinein. Sie überlegt kurz, dann öffnet sie die Tür, betritt die Galerie und steuert als Erstes den großen Büchertisch in der Mitte an. Schwellenangst überwunden. Dass Besucher zuerst in den Bildbänden stöbern, bevor sie sich der Ausstellung zuwenden, erlebt Morat oft. "Der Büchertisch ist so etwas wie ein Steigbügelhalter, denn Buchläden sind vielen Menschen vertrauter als Galerien." Stehen sie erst einmal im Laden, dann schauen sie meist auch nach der Kunst. Eintritt kostet es ja nicht. "Ich betrachte es schon als Erfolg, wenn Leute kommen und sich die Bilder einfach nur ansehen", sagt er.

Die Galerie von Robert Morat ist auffällig, allein schon wegen der riesigen Glasfenster. Nicht ganz so leicht ist es mit der artfinder Galerie. Die Klingeln im Hinter- bzw. Nebeneingang der Admiralitätstraße 71 weisen darauf hin, dass sich in dem Haus eine ganze Reihe von Galerien verstecken. Bevor die Tür von artfinder erreicht ist, geht es drei Stockwerke hinauf; ein freundliches Mädchen öffnet nach dem Klingeln, doch sie arbeitet in dem Architekturbüro, mit dem sich die Galerie die Räume teilt. "Sorry, Sommerpause", sagt sie. Laufkundschaft gibt es hier höchst selten, obwohl sich in dem Haus sieben Galerien angesiedelt haben. "Man muss uns schon kennen. Zufällig kommt niemand vorbei", erklärt Mathias Güntner, der artfinder betreibt. "Hamburg ist keine Stadt für Kunsttouristen wie Berlin. Deshalb haben wir im Sommer nur nach Vereinbarung geöffnet." Los geht es in der Admiralitätstraße 71 erst wieder am 9. September, wenn alle Hamburger Galerien gemeinsam eröffnen. Dann bevölkern an einem Abend bis zu 800 Leute die kleinen Kunstverstecke.

Einladender ist da schon die Multiple Box nebenan, an der Admiralitätstraße 76. Die Tür steht offen, im Schaufenster liegen Plattencover der Beatles, ein NDR-Werbeplakat weist auf Sendungen und Aktionen mit den Fab Four hin. An den Wänden hängen historische Beatles-Fotografien, in einer Vitrine werden kleine Kunstobjekte ausgestellt, wie man sie in den Museumsshops auf der ganzen Welt findet. Für 13 Euro kann man einen Leuchtbutton von Christoph Ebener kaufen. "Keine Angst" steht darauf, ein Slogan wie eine Steilvorlage für jede Galerietür. In Siegfried Sandners Galerie ist die Schwellenangst niedrig. "Da hilft die offene Tür", sagt er.

In der Galerie Magnus Gerdsen ertönt ein akustisches Signal, wenn man die Lichtschranke und den Terrier passiert hat, der wie ein Zerberus - allerdings sehr niedlicher - hinter der Tür wacht. Dann hört man jedoch kein Geräusch mehr. Kein Absatzklacken auf dem Fußboden, keine quietschenden Sohlen. Denn der Boden bei Gerdsen ist mit einem dämpfenden Sisalteppich ausgelegt. "Es gibt Besucher, die fühlen sich unwohl, wenn ihre Schritte durch den Raum hallen, deshalb haben wir den Teppich", sagt Viola Stohwasser. Zusammen mit ihrem Mann Magnus Gerdsen führt sie die Galerie, beide bezeichnen sich als Experten in Sachen Schwellenangst. "Wenn Besucher oder Kaufinteressenten zu uns kommen, stehen wir ihnen mit detaillierten Auskünften zur Verfügung. Aber wir stürzen nicht auf sie zu", erklärt die Kunsthändlerin.

Das Paar sucht immer wieder nach Möglichkeiten, Kunstinteressierten die Scheu vor dem Besuch einer Galerie zu nehmen. In der Vorweihnachtszeit zum Beispiel laden sie zu ihrem "Art-Vent" ein. "Dann machen wir Petersburger Hängung und knallen die Wände zu", erzählt Stohwasser. Wo jetzt Gemälde in gebührendem Abstand zueinander hängen, um sie zur Geltung kommen zu lassen, wird vor Weihnachten dicht an dicht gehängt - wie in der Eremitage von St. Petersburg - von der 200-Euro-Grafik bis zum 120.000 Euro teuren Aquarell. Bei Gerdsen gibt es zudem Galeriegespräche. In lockerer Runde referieren dann Kunstwissenschaftler über Pop und Alte Meister, Reliefs und Rokoko. Anschließend diskutieren sie mit den Teilnehmern in lockerer Runde bei einem Glas Rotwein. "Das ist keine Tupper-Party, bei der wir Kunst an den Mann bringen wollen, sondern es geht uns darum, ein interessiertes Publikum an Kunst heranzuführen", sagt Viola Stohwasser.

In anscheinend bester Lage, mitten im Portugiesen-Viertel in der Ditmar-Koel-Straße, liegt Feinkunst Krüger. Hamburg-Besucher strömen in Scharen hier durch, doch die Galerie lassen sie links liegen. "Touristen kommen selten, da hilft auch das 'Geöffnet'-Schild wenig, das in der Tür hängt", sagt Ralf Krüger. Voll ist es bei ihm - und bei vielen anderen Galeristen - nur, wenn er zu Vernissagen einlädt. Schließlich gibt es dann auch einen Anlass. "Auf keinen Fall ist eine Galerie ein Elfenbeinturm. Jeder kann zwanglos herumgehen und sich die Exponate in Ruhe ansehen." Immer wieder stellten Besucher die Frage nach dem Eintritt. Aber Galerienbesuche sind kostenlos. Nicht nur in Hamburg. Sondern überall auf der Welt.