Fotokurator Ingo Taubhorn ist seit 2003 für die Ausstellungen im Haus der Photographie verantwortlich - und er ist immer noch begeistert.

Hamburg. Wenn er von seinem Büro durch das hohe Glasfenster in die Südliche Deichtorhalle schaut, gerät Ingo Taubhorn ins Schwärmen. "Dieser Raum ist einfach einmalig. Nicht nur in Deutschland. Dagegen ist das berühmte ICP (International Center of Photography) in New York eine piefige Bude." Als vor ein paar Monaten viele Amerikaner im Haus der Photographie die Retrospektive von Paul Himmel und Lilian Bessman besuchten, wurde nicht nur Taubhorn für seine Arbeit als Kurator gelobt, auch das Haus, in dem er seit sieben Jahren wirkt, wurde in die Lobeshymnen gleich mit einbezogen. Das "Wow!", das er selbst gern als Ausdruck der eigenen Begeisterung nutzt, bekam Taubhorn von vielen ausländischen Gästen zu hören. "Die Hamburger sollten sich langsam mal klarmachen, was für ein Juwel sie mit dem Haus der Photographie besitzen", sagt er.

Ein Kurator ist Architekt - und er muss auch Pädagoge sein

Seit 2003 ist Ingo Taubhorn als Kurator für die Ausstellungen im Haus der Photographie verantwortlich. Er überlegt sich Konzepte, er kontaktiert Künstler oder Nachlassverwalter, er kalkuliert die Kosten, er organisiert den Transport der Bilder und die vor jeder Ausstellung anfallenden Handwerksarbeiten, und zu guter Letzt hängt er die Bilder nach seinem Gusto oder in enger Absprache mit dem Künstler auf. "Es geht darum, einen Erlebnisraum zu schaffen. Der Kurator ist hier Architekt. Aber er ist auch Pädagoge. Bei jeder Ausstellung frage ich mich, wie ich einen komplexen Gedanken und das vorhandene visuelle Material einer Öffentlichkeit vermitteln kann."

Wer Ingo Taubhorn schon einmal auf einer Vernissage, einer Führung oder in einem Vortrag erlebt hat, geht anschließend mit dem Gefühl nach Hause, ganz viel über Kunst erfahren zu haben. Und zwar in einer verständlichen Sprache, die noch so krude Werke plausibel erklären kann, ohne den Bildern ihre Geheimnisse zu nehmen. Obwohl schon 52 Jahre alt, hat Taubhorn sich etwas Jungenhaftes bewahrt. Die spürbare Begeisterung für das, was er tut, überträgt sich fast zwangsläufig auf seine Zuhörer. Am liebsten würde man ihn als ständigen Museumsbegleiter in der Nähe haben.

Die Fotografie war in Taubhorns Biografie eigentlich nur dritte Wahl

"Ich bin süchtig nach diesem Medium", sagt er über sein Verhältnis zur Fotografie. Dabei ist sie in seiner Biografie eigentlich nur dritte Wahl. Seine erste Liebe gehörte dem Theater. Er wollte Ende der 70er-Jahre an der Otto-Falckenberg-Schule in München Regie studieren, doch wurde ihm sein damals wenig geschärftes politisches Verständnis zum Verhängnis. Eine Frage nach der Rolle der Arbeiterklasse angesichts von Yaak Karsunkes Stück "Ruhrkampf Revue" konnte er nicht zur Zufriedenheit der Schul-Oberen beantworten. Die zweite Liebe galt dem Film. In seiner Heimatstadt Dortmund studierte er an der dortigen Fachhochschule bei Adolf Winkelmann. Fotografie war ein Nebenfach, Taubhorn driftete dahin ab, weil ihn das Medium geradezu aufgesaugt hat: "Es gab Bilder, die mich nicht mehr losgelassen haben und sich förmlich auf meiner Netzhaut eingebrannt haben."

So manches "Wow!" wird als lichtensteinsche Sprechblase über seinem Kopf geschwebt haben. Schon damals wollte er wissen: Wie ist ein Bild entstanden? Was gibt es dahinter? Welche Biografie verbirgt sich hinter dem Künstler?

Doch bevor Ingo Taubhorn sich mit anderen Fotografen beschäftigte und sie inszenierte, wurde er selber zum Künstler. Gleich sein erstes Fotobuch, 1986 unter dem Titel "Mensch Mann" in der Edition Stemmle erschienen, wurde mit 10 000 verkauften Exemplaren ein großer Erfolg. "Meine fotografische und meine persönliche Entwicklung gingen einher. Ich hatte damals mein Coming-out als Schwuler, in meinem Buch ging es um Nacktheit als So-Sein." Vor allem ein Nacktporträt seiner Eltern erregte damals viel Aufsehen, für Taubhorn nur Ausdruck des offenen Verhältnisses zu seinen Eltern, die mit seiner Homosexualität normal umgegangen sind.

Ingo Taubhorn gehört zu den Menschen, die man nur kurz anstupsen muss, dann sprudelt es nur so aus ihm hinaus. Er erinnert sich an viele Details und erzählt derart genau und bildhaft, dass seine Biografie so klar erscheint, als würde man einen Bildband über sein Leben durchblättern. Doch seine eigene Kunst und seine Profession als Kurator weiß er strikt zu trennen. "Man mischt nicht", sagt er. 2002 gab es im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe als letzte Einzelausstellung von ihm "Vatermutterich" zu sehen.

Zurzeit beschäftigt Ingo Taubhorn sich mit Saul Leiter, einem 85 Jahre alten amerikanischen Fotografen. Wieder gerät er ins Schwärmen. Er holt einen Bildband von Leiter hervor und lobt dessen Blick auf die Wirklichkeit und dessen vielschichtiges Werk. Im November wird es im Haus der Photographie eine Retrospektive mit Leiters Werk geben.

Aus dem Vollen schöpfen kann auch das 2000 Quadratmeter große Haus der Photographie nicht. "Wir verwalten den Mangel", sagt Taubhorn. "Ich versuche eine Ausstellung so zu konzipieren, dass der Anspruch hoch ist, aber wir auch kostendeckend arbeiten. Ich weiß, was es kostet, eine Wand zu streichen."

Ein Kurator lebt eben nicht im Elfenbeinturm, oft sind Pragmatismus und Bodenhaftung gefragt. Beides hat Ingo Taubhorn von seiner Familie mitbekommen. Er stammt aus einer Handwerkerfamilie, sein Vater war Klempner. Seine Eltern haben Taubhorn von klein an in seiner Kunstbegeisterung unterstützt. Den Satz "Lern mal was Anständiges!" hat er nie gehört.