Kultur erfahren in Schwerin mit dem kompletten Bestand holländischer Genremalerei im Staatlichen Museum

Schwerin. Medizinisch ist der Frau eigentlich nicht zu helfen, doch der Arzt gibt sein Bestes. Während die vornehm gekleidete Dame leidend auf einem Stuhl sitzt, hält der Mediziner ein Laborglas in den Händen. Ob die junge Frau von ihrer "erotischen Schwermut" geheilt werden kann, entscheidet sich offenbar im Hintergrund rechts: Dort, im Durchblick auf ein Treppenhaus, ist der Geliebte der Kranken zu sehen, der einer Dienstbotin einen Brief überreicht. Ist es das ersehnte Versöhnungsschreiben?

Der niederländische Maler Jan Steen, der dieses zauberhafte Genrebild um 1658 gemalt hat, überlässt es dem Betrachter, die Geschichte zu Ende zu denken. Liebeskranke Frauen, die ärztlichen Rat suchen, zählten zu den populärsten Motiven der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts. Steens Bild gehört zu den Spitzenstücken, die jetzt im Staatlichen Museum Schwerin in der Ausstellung "Scheinbar vertraut. Die holländische Genremalerei in Schwerin" zu sehen sind.

Schwerin verdankt seiner Vergangenheit als mecklenburgische Residenz eine hochkarätige Gemäldegalerie, zu deren besonderen Stärken die Niederländer gehören. Und innerhalb dieses Bestandes hat die Genremalerei besonderes Gewicht. Frans Hals, Carel Fabritius, Gerard Dou, Jan Lievens, Willem van Mieris, Paulus Potter und eben Jan Steen, sie alle sind mit bedeutenden Werken vertreten. Viele waren bisher noch nie öffentlich zu sehen, umso plausibler ist es, jetzt den über 100 Werke umfassenden Gesamtbestand zu präsentieren.

Die kleineren Gemäldeformate wirkten sich positiv auf den Preis aus

Der Begriff Genremalerei wurde erst im 18. Jahrhundert geprägt und schließt im Grunde all das ein, was sich nicht der Historienmalerei, der Landschaft, dem Stillleben oder dem Porträt zuordnen lässt. Das können derbe Bauernszenen sein, Musikanten oder Gelehrte, Kinder beim Spielen oder Wirtshausgesellschaften, eine Fülle von Themen, die einen Blick in den niederländischen Alltag des 17. Jahrhunderts eröffnen, zugleich aber voller Anspielungen sind.

Der Schweriner Bestand geht vor allem auf Christian Ludwig II. (1683-1756) zurück, der schon vor seiner Regentschaft als Herzog von Mecklenburg-Schwerin damit begann, Kunst zu sammeln. Mit seiner Vorliebe für die Niederländer stand der Mecklenburger Christian Ludwig freilich nicht allein: Im 18. Jahrhundert gehörte es für deutsche Fürsten zum guten Ton, Gemälde aus Amsterdam, Haarlem oder Leiden zu kaufen.

Das hatte auch praktische Gründe. Meist waren die Formate nicht so groß, was sich auch auf den Preis auswirkte, außerdem eigneten sie sich daher für die eher intimen Kabinette, die damals in Mode kamen. Maßgeblich waren aber auch die Bildinhalte: Wenn man derbe Szenen einfacher Bauern betrachtete, konnte man sich einerseits ungeniert daran ergötzen, sich aber zugleich sozial erhaben fühlen.

Bei der Vorbereitung der Ausstellung gelang dem Kurator und den Restauratoren eine spektakuläre Entdeckung: Auf der Holzplatte von Paulus Potters 1650 entstandenem Bild "Vor dem Wirtshaus" entdeckte man einen unter dem Rahmen verborgenen Streifen. Da man um 1950 irrtümlich davon ausgegangen war, dass es sich um eine spätere Hinzufügung handelt, hatte man diese etwa acht Zentimeter breite Fläche mit dem Rahmen abgedeckt. Das erst jetzt wieder bekannt gewordene Fragment zeigt eindeutig Potters Malweise; es macht aber auch deutlich, dass es sich in Wahrheit nicht um ein Hoch-, sondern um ein Querformat handelt.

Gefühle offen zu zeigen galt im 17. Jahrhundert als unschicklich

Zu den schönsten Stücken gehören zwei kreisrunde Knabenbildnisse von Frans Hals, ein "Lachender Knabe mit Weinglas" und ein "Lachender Knabe mit Flöte". Diese Gute-Laune-Bilder sind ungemein frisch und lebendig, und sie brechen ein Tabu: Gefühlsäußerungen so offen zu zeigen galt im 17. Jahrhundert als unschicklich. Der so unmittelbaren Herzlichkeit der lachenden Knabenbildnisse, bei denen jeder einzelne Pinselstrich sichtbar geblieben ist, konnten sich aber vermutlich selbst fürstliche Betrachter kaum entziehen.

Scheinbar vertraut. Die holländische Genremalerei in Schwerin bis 14.11., Di-So 10.00-18.00, Do 12.00-20.00, Staatliches Museum Schwerin, Alter Garten 3; www.museum-schwerin.de