Der charismatische Sänger Bobby McFerrin gibt beim Schleswig-Holstein Musik Festival Konzerte mit der NDR-Bigband und der Chor-Akademie.

Hamburg. Was Ursache ist und was Wirkung, gerät manchmal durcheinander. In einer von Bertolt Brechts Keunergeschichten belehrt Herr K. einen Mann, der den Erfolg einer Schauspielerin auf ihre Schönheit zurückführt. "Sie ist schön, weil sie Erfolg gehabt hat", widerspricht ihm Herr Keuner. Ähnlich verhält es sich mit dem Singen. "Ich singe nicht, weil ich glücklich bin. Ich bin glücklich, weil ich singe." Das hört man Menschen sagen, die sich nicht scheuen, ihre Stimme melodiös zu erheben, unter der Dusche, beim Bügeln, auf dem Weg zur U-Bahn. Es gibt viele medizinisch-physiologische Gründe dafür, weshalb sie recht haben. Singen ist gesund, singen macht schön, singen macht glücklich.

Früher sangen die Menschen bei der Arbeit und beim Gottesdienst. Das Erstere ist aus der Mode gekommen. Auch in der Kirche tröpfelt der Gesang der Gemeinde meist nur noch. Er klingt verdruckst, schief, gemurmelt. Die letzte Bastion gemeinschaftlichen Singens ist das Fußballstadion. Und das imaginäre Gesangbuch der Fans ist dünn.

Neulich aber kam einer ins Stadion, der die Leute auf andere Weise zum Singen bringt. Im Frühsommer trat Bobby McFerrin beim Festival "Ruhr.2010" in Gelsenkirchen in der Arena auf Schalke auf und sang mal eben mit 60.000 Menschen. Fast ohne ein Wort zu sagen stiftete er die Besucher zu mehrstimmigen Melodien an, später gar zu seinem Evergreen, dem "Ave Maria" von Charles Gounod, der seine frömmlerische Melodie auf Bachs C-Dur-Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier komponierte. Das war selbst für den Initiator unzähliger Publikumschöre ein Novum. Nie zuvor teilte er seine Medizin mit so vielen Zuhörern auf einmal.

Wenn Bobby McFerrin jetzt für einige Konzerte beim Schleswig-Holstein Musik Festival gastiert, dann steht nicht die Stimmbildung der Massen im Vordergrund, sondern Musik von Chopin in Bearbeitung für Bigband und Gesang und ein Auftritt mit Chor. Aber es müsste schon mit dem Teufel der Stummen zugehen, wenn er nicht auch hier das Auditorium zum Singen bringt.

Am 11. März ist Bobby McFerrin 60 Jahre alt geworden. Selbst auf die nahe Distanz einer Mittagstischplatte geht er jederzeit für Mitte 30 durch. Der Sänger ist grazil, leicht in der Bewegung, die Haut ist straff. Wo, bitte, sind die Falten? Allenfalls der graue Bart macht sein Geburtsjahr 1950 ansatzweise glaubhaft. Bobby McFerrin schaut mit den Augen eines offenen, sorglosen Kindes. Allerdings sucht er den Blick des Gegenübers auch nicht.

"Singen ist eine spirituelle Erfahrung für mich, keine religiöse", sagt McFerrin, der doch wie ein Prediger auf Reisen immer wieder in seiner altertümlich eingebundenen Bibel blättert. Viele Passagen darin sind säuberlich mit rotem Stift unterstrichen. Jeden Tag liest er Psalmen und Sprüche. Alles, was er lernen will, singt er sich vor. Hat er die Bibel nicht längst vollständig vertont? McFerrin weiß es nicht. "Ich gehe da nicht nach System vor." Seine Managerin, Produzentin und Seelenschwester Linda Goldstein, die ihn seit 1978 begleitet, sagt, ihr Schützling behellige niemanden mit seiner Frömmigkeit. "Aber ich höre ihm wahnsinnig gerne beim Psalmensingen zu", lacht sie.

Seine Gabe sei es, Musik, die schon im Raum schwebe, aufzufangen und wiederzugeben. "Ich lese die Bibel, weil sie mich daran erinnert, dass ich diese Gabe hegen und pflegen muss." Auch deshalb knüpft er an "seine" Musik kein Besitzgefühl. Die Einladung zur Vervielfältigung der Stimmen im Spontan-Chor der Anwesenden wirkt als Metapher zu mehr Gemeinsamkeit im Leben, zur Überwindung der Isolation. Abende mit Bobby McFerrin erfüllen das Paradox eines laizistischen Gottesdienstes. "Das Singen ist mein Wanderstab, mein Gebet, mein Lobpreis."

Wer hat verfügt, dass man bei Tisch nicht singen soll? Zwischen den Bissen des Fleischgerichts entfahren McFerrin fast unwillkürlich wiederholt kleine souffléartige Melodien. Noch auf dem Weg zur Restaurant-Toilette trällert er halbe Tonleitern, immer in diesem hellen, unverschämt mühelos klingenden McFerrin-Timbre.

"Ich forciere nichts mehr", sagt der in New York geborene Sänger, dessen Karriere vor bald 30 Jahren begann. "Ich lass es einfach kommen." Tatsächlich ist die Differenz zwischen seinem Gesang auf dem 1984 in Deutschland live aufgenommenen Debüt-Album "The Voice" und dem Klang seiner Stimme heute frappierend. Der Unterschied lässt an Picassos Wort denken, er habe sein Leben gebraucht, um zu malen wie ein Kind. Bei Soloauftritten verlässt sich Bobby McFerrin, der sein Erweckungserlebnis als Sänger auf den 11. Juli 1977 datiert, ganz auf die Eingebung des Augenblicks: "Ich weiß nie, was ich singen werde, und komme immer in der letzten Sekunde."

McFerrin kann sich das leisten. Seine allzeit bestens eingesungene Stimme ist mal Tenor, mal Bass, mal Alt, mal Countertenor. Solo und Begleitung besorgt er simultan, sein Körper wird unter seinen Händen zur Trommel. Und immer haben seine Melodien Groove.

Kein Zweifel: Die Leichtigkeit des Seins ist mit ihm. "Don't Worry, Be Happy" (1988) war nicht nur sein einziger, gigantischer Hit. Der Imperativ zum Fröhlichsein ist sein Lebensmotto. Das Nümmerchen war seinerzeit in einer Viertelstunde fertig und verhalf ihm zu anhaltendem Wohlstand und Weltruhm. Aber McFerrins Leichtigkeit ist die Leichtigkeit der Ebene nach den Mühen der Berge. Als Kind aus musikalischem Haus stieg er ins Schulorchester als dritter Klarinettist ein. Das wurmte ihn. Nach vier Wochen hatte er sich schon ans erste Pult vorgeblasen: "Ich habe pausenlos geübt. Meine Mutter musste mir zum Essen die Klarinette aus dem Mund nehmen. Wegen einer Zahngeschichte habe ich das Instrument aufgegeben. Was für ein Glück! Sonst säße ich jetzt im Orchester." Befriedigter Ehrgeiz macht gelassen.

Ist jeder Mensch ein Sänger, Herr McFerrin? "Manche Leute können es wirklich nicht, weil sie nicht hören können. Aber denen würde ich trotzdem nicht abraten. Wer das Herz auf dem rechten Fleck hat, der kann singen."

Bobby McFerrin 10.8. Kiel, 11.8. Lübeck, 12.8. Flensburg

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