Der renommierte SWR-Fernsehfilm-Chef Carl Bergengruen steht künftig an der Spitze von Studio Hamburg

Hamburg. Wann immer er Spitzenpositionen besetzen muss, schaut NDR-Intendant Lutz Marmor über den Tellerrand hinaus. Am Anfang steht aber stets eine grundsätzliche Analyse.

Bei der Suche nach einem Nachfolger für den scheidenden Vorsitzenden der Geschäftsführung der NDR-Tochter Martin Willich fragte sich der Intendant zunächst, welches Profil der Neue haben sollte. Mit Willichs Stellvertreter Robin Houcken sind die Felder Finanzen und Strategie bereits bestens abgedeckt. "Wir brauchten", sagt Marmor, "einen Programm-Manager, der mit Fernsehfilm-Produktionen Erfahrung hat, für einen Qualitätsanspruch steht und ein Unternehmen führen kann."

Fündig wurde der Intendant, wie berichtet, ausgerechnet am anderen Ende der Republik im fernen Baden-Baden, wo Carl Bergengruen als Fernsehfilm-Chef des SWR wirkt. Das Anforderungsprofil Marmors scheint für ihn maßgeschneidert zu sein: Für die anspruchsvollsten ARD-Produktionen, sei es "Romy", "Mogadischu", "Stauffenberg" oder zuletzt das Scientology-Drama "Bis nichts mehr bleibt", kommen aus Bergengruens SWR-Abteilung. Da der Sender, die von ihm verantworteten "Tatort"-Folgen - darunter die mit der beliebten TV-Kommissarin Lena Odenthal alias Ulrike Folkerts - selbst herstellt, hat Bergengruen auch Erfahrung als Produzent. Dass der Enkel des Schriftstellers Werner Bergengruen gebürtiger Hamburger ist, spricht ebenfalls für ihn. Denn Marmor ist es wichtig, dass der Standort Hamburg nicht vernachlässigt wird, trotz der wichtigen Rolle, die Berlin mittlerweile für Studio Hamburg spielt. Bergengruen studierte in der Hansestadt Germanistik und Romanistik. Im Albertinen-Krankenhaus wurden seine zwei Kinder geboren. Seine Wohnung in der Eppendorfer Nissenstraße gab er erst 1995 auf. Da lebte er schon seit Jahren in Baden-Baden.

Für den NDR hat Bergengruen aber nie gearbeitet. Er ist ein Kind des SWR. Nach einem einjährigen Filmaufbaustudium in den USA verdingte er sich für den Südwestfunk, der später im SWR aufging, als Dramaturg. 1990 folgte ein Redaktionsvolontariat im selben Sender, dem sich eine Anstellung als Filmredakteur anschloss. 1992 wechselte er zum MDR, für den er die Nachwuchsreihe "First Cuts" ins Leben rief.

1994 kehrte Bergengruen zum Südwestfunk zurück und verantwortete dort zunächst das "Debüt im Dritten". Vier Jahre später wurde er im neu gegründeten SWR Redaktionsleiter und Produzent der Stuttgarter "Tatort"-Folgen. Seit 2002 ist der heute 50 Jahre alte Hamburger SWR-Hauptabteilungsleiter Film und Serie. 2005 kam noch die Verantwortung für die Kinderprogramme des Senders hinzu. Seine Produktionen haben vom Adolf-Grimme-Preis über den Deutschen Fernsehpreis bis zum Deutschen Filmpreis in Gold so ziemlich alle namhaften Auszeichnungen erhalten, die es in der Branche gibt.

Als Marmor Bergengruen vor zwei, drei Monaten anrief, wurden sich beide schnell einig. "Es waren konstruktive, zielführende Verhandlungen", sagt der Intendant. Und so wird Bergengruen bereits am 1. Februar 2011 sein neues Amt in Hamburg antreten.

"Es ist für mich eine große Herausforderung, künftig an der Spitze des zweitgrößten deutschen TV-Produktionskonzerns zu stehen", sagt der Hamburger aus Baden-Baden. Wichtige Produzenten des Hauses wie Michael Lehmann von Studio Hamburg Produktion oder Hubertus Meyer-Burckhardt von der Studio-Hamburg-Tochter Polyphon kennt er als SWR-Fernsehfilm-Chef sehr gut. Seine künftigen Mitarbeiter schätzen ihn. "Bergengruen ist eine exquisite, wundervolle Wahl", sagt etwa Meyer-Burckhardt, "eine personell erstklassige Lösung."

Vom Neuen an der Spitze von Studio Hamburg wird erwartet, dass er den Kurs seines Vorgängers Willich fortsetzt. Dazu gehört beispielsweise, dass die Produktionsgesellschaft an der Jenfelder Allee auch künftig gleichermaßen für öffentlich-rechtliche wie für private Sender arbeitet. Andererseits verspricht man sich von Bergengruen etwas mehr Glanz. Er ist ja weder Betriebswirt noch Jurist, sondern ein Mann der Inhalte. Und Studio Hamburg gilt zwar als grundsolide, aber eben mit Produktionen wie der "Sesamstraße" oder dem "Großstadtrevier" auch als etwas langweilig. Die Produktionsgesellschaft sei schon "ziemlich unsexy", sagt ein unabhängiger Produzent. "Aber das wird sich ja nun mit Bergengruen sicher ändern."