Der Facebook-Roman “Zwirbler“ entsteht mithilfe der Portal-Freunde. Jeder kann zum (Ko-)Schriftsteller von Initiator Gergely Teglasy werden.

Hamburg. Die theoretischen Überlegungen zur kollektiven Autorenschaft - ein schönes Thema für jedes literaturwissenschaftliche Seminar - bekommen angesichts eines unlängst gestarteten Projekts vielleicht durchaus Schwung: Das World Wide Web schreibt am ersten Facebook-Roman. Er heißt "Zwirbler" und hat einen ganz normalen Profileintrag auf dem Social-Communitiy-Portal , das in Deutschland bald zehn Millionen Nutzer haben wird.

"Zwirbler" hat zurzeit knapp 2900 Freunde und Leser. Theoretisch kann jeder mitschreiben - das ist jedenfalls das Prinzip. Es gibt auf der Facebook-Seite eine virtuelle Pinnwand, auf der die Mitglieder ihre jeweiligen sogenannten Statusmeldungen eintragen (etwa: "Sitze gerade in der Bibliothek und bohre in der Nase", oder: "War gerade in New York shoppen und warte jetzt aufs Taxi"). Dieser Platz besteht auf dem "Zwirbler"-Profil ausschließlich aus drei- oder vierzeiligen Romanteilen. Der Anfang eint sie, denn jeder dieser Miniteile eines großen Ganzen beginnt mit dem Wort "Zwirbler". Zwirbler ist dann also der Protagonist.

Ins Leben gerufen wurde die literarische Unternehmung von Facebook-User Gergely Teglasy. Er formuliert in seinem Blog die Vorgaben und Hoffnungen an die vor den Rechnern versammelte Autorschaft: Es solle ein deutschsprachiger Roman für Jugendliche ab 17 und Erwachsene werden, und es werde "spannend, absurd, tiefgründig, skurril" zugehen und manchmal auch schmutzig, aber nie langweilig.

Klar ist, dass Teglasy, der im Internet schlicht als "TG" firmiert, der Hauptautor des Romans ist. Er möchte aber in seinem "Scheibchen"-Roman jedem die Möglichkeit geben, über Facebook in das Geschehen einzugreifen: Die Status-Meldungen der Leser werden in der Geschichte verarbeitet. "Schonungslos, direkt und ohne Kompromisse", verspricht Teglasy. Die Meldungen beeinflussen "Zwirbler" mit. "Aber können Sie den Lauf der Geschichte auch verändern?", fragt Teglasy in seinem Blog.

Tja, das müsste man wissen. Klingt nach einer komfortablen Situation für den Hauptautor: Er lässt sich inspirieren von den Einwürfen der Leser/Schreiber, wenn er deren bedarf. Und er verwirft dasjenige, das die Handlung nicht entscheidend weiterbringt. So bleibt er der Herrscher über das Geschriebene. Das ist übrigens eher der schnell konsumierbaren, anspruchslosen Literatur zuzuordnen: "Zwirbler ist überzeugt, dass man aus seinen Misserfolgen wesentlich mehr lernt als aus Erfolgen. Schmerz. Ein brennender Schmerz weckt ihn. Das Bettlaken ist blutgetränkt. Frisch. Menstruationsrot. Das Piercing war demnach keine gute Idee gewesen. Er steht auf, geht in die Küche. Sucht, findet und steckt das Essstäbchen in die Wunde. Ein koreanisches. Es blutet weiter. Sollte er zum Arzt?" - so beginnt "Zwirbler".

Immerhin besteht der Roman nicht aus den Kürzeln der Abbreviationssprache, die in den Handymitteilungen gepflegt wird. Er liest sich deswegen anders als die SMS-Romane, die in den vergangenen Jahren erschienen. Die gesunkene Aufmerksamkeitsspanne der Leser wird trotzdem vorausgesetzt: "Im Alltag haben wir heute kaum mehr Zeit für einen langen Roman", sagt Teglasy und klingt dabei keineswegs traurig. Denn er glaubt: "Schnell lesbare Statusmeldungen bieten Genuss, Anregung und Überraschung bei der Arbeit am PC, am iPhone in der Straßenbahn, am Handy während der Mittagspause oder am iPad auf dem Sofa". Herrlich!

Da hatten es die Poeten in grauer Vorzeit noch schwerer, sie mussten noch ganze Bücher lesen und sich gemeinsame Arbeiten abringen. Die Leser der deutschen Klassiker erinnern sich an die "Xenien", die Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller im "Musenalmanach für das Jahr 1797" veröffentlichten.

Und wer in den vergangenen Jahren Netzliteratur konsumiert hat, der kennt bestimmt noch das Autorenprojekt "Ampool.de" oder Thomas Hettches und Jana Hensels Projekt "Null", das 1999 im Internet zu lesen war.

Gemeinsame literarische Projekte und das Internet, sie ziehen sich an. Was allerdings eher an den technischen Möglichkeiten (dem schnellen Austausch, der Ad-hoc-Publikation) liegt und weniger daran, dass die Poesie der vielen sagenhaft tolle Texte produziert.