Die Auslandsreporterin Susanne Koelbl (“Spiegel“) erzählt bei “netzwerk recherche“ von ihrer Arbeit in Afghanistan.

Hamburg. Susanne Koelbl hat mehr gesehen als die meisten Menschen. Mehr auch als gewöhnliche Journalisten. Ihr Alltag besteht nicht aus Pressekonferenzen, Agenturmeldungen und Überschriftenerfinden, sondern aus Krieg, Geschäften von Drogenbaronen und Selbstmordattentaten. Susanne Koelbl ist Auslandsreporterin beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Heute berichtet sie bei dem jährlichen Hamburger Journalistentreffen netzwerk recherche von ihren Erfahrungen aus Afghanistan.

Im Februar 2002 reiste Koelbl das erste Mal nach Kabul - und seither immer wieder. Mehr als 40-mal war sie bislang in Afghanistan, öfter wohl als jeder andere deutsche Journalist. Anfangs blieb sie bis zu acht Wochen, heute sind es meist nur zwei. Es sei unsicherer geworden, sagt Koelbl. Zudem hätten sich die Reisebedingungen erschwert: "Man kann sich mit dem Auto kaum noch durch das Land bewegen. Nur noch mit dem Flugzeug." Aufständische, Kidnapper, Kriminelle - wer in Afghanistan unterwegs ist, sollte besser Menschen kennen, denen er vertrauen kann. Er sollte einen kühlen Kopf bewahren, wenn er in brenzligen Situationen vor die Entscheidung gestellt wird: gehen oder bleiben?

Diese Entscheidung musste Koelbl erst jüngst wieder treffen. Nach dem Bombardement in Kundus erhielt sie den Anruf eines Informanten: Sie solle schnellstmöglich die Stadt verlassen. Die Taliban hätten ein Kopfgeld ausgesetzt für die Ergreifung eines westlichen Journalisten. Was tun? "In Momenten wie diesen denke ich manchmal schon: Was mache ich eigentlich hier?", sagt die 44-Jährige. Sie blieb. Und schrieb ihre Geschichte.

Bevor sie sich intensiv mit Afghanistan beschäftigte, war Koelbl drei Jahre lang auf dem Balkan als Reporterin unterwegs. Was sie an Krisengebieten wie diesen interessiert? Historische Momente mitzuerleben, sagt Koelbl. Momente, in denen sich die deutsche Außenpolitik verändert. Etwa vor mehr als zehn Jahren, als der deutsche Soldat David Ferk erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg den Befehl gab, im Gefecht das Feuer auf einen Menschen zu eröffnen. Koelbl stand nur wenige Meter daneben, als es passierte. Sie war ganz nah dran in diesem Moment - wie in den Jahren danach noch häufig.

In Afghanistan hat die Reporterin Schwerverletzte im Krankenhaus besucht. Sie hat mit Selbstmordattentätern gesprochen, deren Anschläge gescheitert waren, und in einer vollen Leichenhalle gestanden. "Es gab Situationen, bei denen ich froh war, dass ich heil wieder herausgekommen bin", sagt sie.

Es sind andere Geschichten, die man aus sicherer Entfernung am Schreibtisch schreibt als die, die man am eigenen Leib erlebt hat. Es ist nicht dasselbe, über jemanden zu schreiben, der nur ein Name auf einem Blatt Papier ist, und über jemanden, dem man gegenüber gesessen hat.

Koelbl hat sie alle getroffen: Talibankämpfer, verschleierte Polizistinnen, Afghanistans Präsident Hamid Karzai und seine Brüder. Darin besteht ein Großteil ihrer Recherche: mit Block und Rucksack durchs Land zu reisen, mit Menschen zu sprechen. Es komme ihr darauf an, zur Zeitzeugin zu werden, sagt Koelbl. Leute über einen langen Zeitraum zu beobachten. "Die Kontinuität ist wichtig, wenn man ein Land wie Afghanistan verstehen will." Vieles ist hier schwer zu verstehen: Wie Krieg zum Geschäft werden und die Korruption immer weiter zunehmen kann etwa. "Das bleibt ein Enigma", sagt Koelbl. Anderes wiederum in dieser Gesellschaft sei für sie "völlig logisch". Es gehört zum Job von Susanne Koelbl, nicht zu verurteilen, sondern eine Verbindung zu dem Fremden aufzubauen.

Man müsse auch berücksichtigen, sagt Koelbl, wie 30 Jahre Krieg ein Land verändern können. "Ich stelle mir dieses Land immer auch in Frieden vor. Dann ist es ein herrliches, wildes Land voller unberührter Landschaften."

"Geliebtes Land" hat Koelbl eines ihrer Bücher genannt, in dem sie ausgewählte Reportagen aus Afghanistan versammelt hat. Geliebt, wirklich? "Es ist anstrengend, dort zu arbeiten. Manchmal auch gar nicht schön", sagt sie. Manchmal sei es "ein sehr unwirkliches Land". Etwa wenn man 16 Stunden auf einer Straße unterwegs ist, die diesen Namen kaum verdient. Mit Schlaglöchern groß wie Kleinwagen. Verabredungen werden nicht eingehalten, und bei den Unterkünften in den Gästehäusern gruselt es selbst Hartgesottene. "Schlafsack über den Kopf ziehen und hoffen, dass die Nacht vorbeigeht", heißt Koelbls erprobtes Rezept.

Als sie nach der ersten Reporterreise in ihre Heimatstadt Berlin zurückkehrte, empfand sie eine heiße Dusche als "rauschhaften Moment". Speisen auswählen im Restaurant, telefonieren mit Freunden - dort, wo sie herkam, ging es um existenzielle Dinge. Um Sein oder Nichtsein. Das fasziniere sie nach wie vor, sagt Koelbl. Das habe ihr eine andere Perspektive auf die Welt ermöglicht. Es ist die Perspektive einer Frau, die hinter die Kulissen geschaut hat.