Auf den Jazz Open in Planten un Blomen überzeugt vor allem das Berliner Carsten Daerr Trio. Trotz Fußball kamen viele Jazzfans.

Hamburg. Ist der Hundertjährige Kalender eine höhere Macht? Jedenfalls wissen sich die Veranstalter der Jazz Open mit diesem Erfahrungskompendium der Menschheit im Bunde. Seit sie ihr Festival vom trügerischen mittleren bis späten August auf das letzte Juniwochenende verlegt haben, an dem, besagtem Kalender zufolge, in Hamburg zuverlässig wenn schon nicht Sonne, so doch wenigstens Trockenheit herrscht, müssen sie sich um Zulauf zu ihrer Freiluftveranstaltung keine Sorgen mehr machen.

Ist der globale Fußballkalender eine niedere Macht? Jedenfalls haben die Veranstalter der Jazz Open seit der Verlegung des Festivals vom fußballarmen Spätsommer ans letzte Juniwochenende alle geraden Jahre zuverlässig entweder mit den Unwägbarkeiten von Europa- oder Weltmeisterschaften zu kämpfen. Gestern lieferten die beiden Lokalmatadoren-Bands Hosho und das Boriana Dimitrova Quartet einen heroischen Kampf gegen das Fußballfest der deutschen Nationalmannschaft gegen England. Hätte Jogis Elf nicht zur besten Sonntagsjazzsendezeit am Nachmittag gespielt, wären die Besucher wohl in noch größerer Zahl an der Freiluftbühne unweit des Rosengartens vorbeigeschlendert als am Tag zuvor.

Den Anfang machte da die Bigband Kentonmania aus Prag. Vom Schneid ihres Namenspatrons Stan Kenton weit entfernt, rumpelte sich das um acht Waldhornisten erweiterte Orchester unter der Leitung eines Kapellmeisters in weißem Jackett durch die Jazzgeschichte.

Die vier Kölner Musiker von Hornstrom kamen mit Badekappen auf die Bühne und pflegten auch in Songtitelgebung und Selbstverständnis einen etwas wunderlichen Humor. Musikalisch allerdings boten die beiden Posaunisten und ihre variantenreich und präzis spielenden Partner an Bass und Schlagzeug ein intelligentes Hörvergnügen. Wer auf die Spachtelmasse des Akkordischen verzichtet, muss die Verantwortung für die harmonische Stabilität selbst übernehmen. Entsprechend vielgestaltig und ansehnlich wuchsen die von den beiden eng verzahnten Posaunenlinien errichteten Klanggebäude in den Sommerhimmel.

Noch spürbar am Anfang steht das Projekt The Burhorn. Mit fünf Begleitmusikern an Bass, Gitarre, Schlagzeug, Elektronik und Saxofon bzw. Bassklarinette arbeitet der Hamburger Trompeter Thomas Burhorn an gleichermaßen reduzierten wie eindrücklichen Klangbildern, die er aus einem individuellen Blickwinkel zwischen Jazz-Historizität und zeitgenössischer Dancefloor-Ästhetik gewinnt. Das erste Album liegt noch im Presswerk, bis zum Freispiel auf der Bühne hat die Band noch ein gutes Stück Weg vor sich, aber da ist viel Potenzial. Und dass Musik für sie viel mehr ist als ein cooles Lifestyle-Accessoire, bewies die Hingabe der Sängerin Y'Akoto, die bei drei Stücken zu erleben war.

Künstlerischer Höhepunkt des Sonnabends war der Auftritt des Carsten Daerr Trios aus Berlin. Dessen Bassist Oliver Potratz kommt aus Hamburg, und er kriegte sich gar nicht wieder ein über die angenehme Atmosphäre und augenscheinliche Jazz-Affinität seiner Vaterstadt. Tatsächlich kam man aus dem Staunen kaum heraus, wie aufmerksam das Publikum den bis in Grenzbereiche des Abstrakten reichenden Trio-Improvisationen folgte. Inspiration fanden die drei schon immer jenseits ausgetretener Jazz-Pfade. So nahm Daerr in einem Stück das Geklimper eines Klavierschülers bar aller Blue Notes als Ausgangsmaterial für die musikalische Interaktion.

Auch die virtuelle Folklore des United Color Ensembles um die russische Geigerin und Sängerin Jana Mishenina und den Schweizer Alphorn-, Tuba- und Posaunenbläser Christophe Schweizer traf auf ausgesprochen geneigte Ohren. Ihre von Akkordeonklängen und Perkussion begleitete Musik klang nach Jazz indes nur dort, wo Schweizer zu artikulierten Soli ausholte. Wenn sich nur zehn Prozent der Park-Flaneure nun auch mal zum Besuch eines Jazzklubs entschlössen, wäre der schöne Erfolg der Jazz Open auch ein nachhaltiger.